Paukenschlag aus Karlsruhe - Die Grenzen der Auslegung
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Mit einem Paukenschlag hat das BVerfG (Beschluss v. 25.01.2011 - 1 BvR 918/10; 5: 3 Stimmen) einen wichtigen Baustein der Rechtsprechung des BGH zum nachehelichen Unterhalt als verfassungswidrig gekippt.
Um was geht es?
Ausgangspunkt ist der auch bei der Unterhaltsreform unverändert gelassene § 1578 BGB:
(1) Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen.
Was geschieht, wenn der seiner Exfrau unterhaltsverpflichtete Ehemann wieder heiratet?
Erstmals mit seinem Urteil vom 30.07.2008 - XII ZR 177/06 (= NJW 2008, 3213) vertrat der BGH die Theorie der Wandelbarkeit der ehelichen Verhältnisse und wandte bei der Berechnung des Unterhalts der geschiedenen Frau die sogenannte Drittelmethode oder Dreiteilungsmethode an.
Dabei werden die Einkommen des Mannes und beider Ehefrauen addiert und die Summe durch 3 geteilt. Dieses Drittel ist dann abzüglich eines Eigenverdienstes der Exfrau deren Unterhaltsanspruch. Mittels einer Kontrollrechnung stellte der BGH sicher, dass der geschiedene Ehegatte maximal in der Höhe Unterhalt erhielt, die sich ergäbe, wenn der Unterhaltspflichtige nicht erneut geheiratet hätte.
Die Drittelmethode führte zu einer erheblichen Verschlechterung der Stellung der geschiedenen Ehefrau.
Beispiel:
Einkommen Mann: 3000 €; Einkommen Frau: 1.000 €. Herkömmliche Berechnung: (3000 – 1000), davon 3/7 = 857,14 € Unterhaltsanspruch.
Heiratet der Mann wieder und hat die neue Ehefrau kein Einkommen ist nach der Drittelmethode (unter Vernachlässigung von Synergieeffekten des Zusammenlebens von Mann und neuer Ehefrau) zu rechnen:
3.000 + 1.000 + 0 = 4.000
davon 1/3 = 1.333 = Bedarf; 1333 - 1.000 Eigeneinkommen = 333 € Unterhaltsanspruch.
Das BVerfG führt aus, diese Art der Unterhaltsberechnung sei mit keiner der geläufigen Auslegungsmethoden aus dem Gesetzestext zu entnehmen.
Art. 20 Abs. 2 GG verleiht dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck. Auch wenn dieses Prinzip im Grundgesetz nicht im Sinne einer strikten Trennung der Funktionen und einer Monopolisierung jeder einzelnen bei einem bestimmten Organ ausgestaltet worden ist (…), schließt es doch aus, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind, indem sie sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen (…). Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt.
Sie {die Drittelmethode} verlässt die nach §§ 1569 ff. BGB zur Prüfung nachehelicher Unterhaltsansprüche vom Gesetzgeber 1977 vorgegebene und 2007 beibehaltene unterhaltsrechtliche Systematik und nimmt einen Systemwechsel vor, bei dem sie die in § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene gesetzgeberische Grundentscheidung durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt.
(...)
Sofern der Gesetzgeber die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs eines geschiedenen Ehegatten nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB oder die Art der Unterhaltsberechnung insbesondere bei aufeinanderfolgenden ehelichen Unterhaltsverbänden einer Änderung unterziehen will, ist es seine Sache, per Gesetz die Kriterien und Berechnungsweisen dafür vorzugeben.
Entscheidungen, bei denen die Drittelmethode zu Lasten der geschieden Ehefrau angewandt wurde, sind mit Wirkung für die Zukunft gemäß § 238 III FamFG abänderbar.