BVerfG: Widerspruchsrecht auch bei Betriebsübergang kraft Gesetzes
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
§ 613a Abs. 6 BGB verschafft dem Arbeitnehmer das Recht, einem Betriebsübergang zu widersprechen und so bei seinem alten Vertragsarbeitgeber zu verbleiben. Allerdings knüpft die Vorschrift an den Begriff des Betriebsübergangs in Absatz 1 dieser Vorschrift an, der einen Übergang "durch Rechtsgeschäft" voraussetzt. Es entsprach daher bislang nahezu einhelliger Auffassung, dass bei einem gesetzlich angeordneten Arbeitgeberwechsel - etwa der Übertragung bestimmter staatlicher Aufgaben auf selbständige juristische Personen und damit einhergehend der Zuordnung des Personals zu diesen - ein Widerspruchsrecht nicht bestehe.
BVerfG tritt Privatisierungen entgegen
Dem ist das BVerfG jetzt mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG entgegen getreten (Beschluss vom 25.01.2011 - 1 BvR 1741/09):
Das Land Hessen hatte durch Gesetz die beiden rechtsfähigen Anstalten des öffentlichen Rechts „Universitätsklinikum Gießen“ und „Universitätsklinikum Marburg“ zu der neu errichteten Anstalt des öffentlichen Rechts „Universitätsklinikum Gießen und Marburg“ zusammengefasst. Das Gesetz enthält ferner eine Ermächtigung, die neue Anstalt im Wege der Rechtsverordnung zu privatisieren. Diese Privatisierung wurde Anfang 2006 vollzogen. Die Beschwerdeführerin war seit 1985 als Pflegekraft bzw. Krankenschwester des Klinikums der Philipps-Universität Marburg beim Land beschäftigt. Sie widersprach dem ihr im Juli 2005 mitgeteilten Übergang des Arbeitsverhältnisses auf das Universitätsklinikum Gießen und Marburg als Anstalt des öffentlichen Rechts und später auf die Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH. Ihre Klage blieb bis zum BAG erfolglos (BAG, Urt. v. 18.12.2008 - 8 AZR 692/07, BeckRS 2009, 67989).
Rechtsprechung des BAG verstößt gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit
Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg:
Privatisierungsgestaltungen der vorliegenden Art unterliegen einer besonderen verfassungsgerichtlichen Kontrolle daraufhin, ob der Gesetzgeber seiner Pflicht zum Schutz der Rechte der Arbeitnehmer bei der Wahl des Arbeitsplatzes gerecht geworden ist. Denn das Land tritt in einem Privatisierungsprozess in einer Doppelrolle auf, nämlich sowohl als (bisheriger) Arbeitgeber wie als Gesetzgeber, der sich selbst unmittelbar durch Gesetz aus der Arbeitgeberstellung löst und sich damit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten entzieht. Damit eröffnet sich das Land rechtliche Möglichkeiten, die sonstigen Arbeitgebern nicht zur Verfügung stehen. Gerade die Rechtsfolge, die allgemein dem Arbeitgeber vom Gesetzgeber zugemutet wird, nämlich die Erschwerung eines Betriebsübergangs durch eine - gegebenenfalls auch massenhafte - Ausübung des Widerspruchsrechts, soll den staatlichen Arbeitgeber zur Erleichterung des Privatisierungsprozesses legitimieren, sich ohne Einräumung eines § 613a Abs. 6 BGB entsprechenden Widerspruchsrechts von Arbeitsverträgen lösen zu können. Der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Grundrechtsschutz der Arbeitnehmer soll nach dem Willen des Landesgesetzgebers damit geringer sein, wenn sie beim Land beschäftigt sind und das Land ihre Arbeitsverhältnisse auf einen Dritten überleiten will. Für diese Privilegierung des Landes in seiner Doppelrolle als Arbeitgeber und Gesetzgeber reicht das legitime Ziel der Privatisierung nicht aus.