Softwareindustrie als Strandräuber?
Gespeichert von Prof. Dr. Thomas Hoeren am
Mich erreicht ein interessanter Essay eines der führenden IT-Rechtsanwälte in Deutschland, den ich für diskussionswürdig halte. Es geht um die neue Policy mancher IT-Hersteller, für die Nutzung ihrer Software im Rahmen von Auftragsdatenverarbeitung zusätzliche "Lizenzgebühren" zu verlangen. Aus Datenschutzgründen will der Anwalt nicht mit Namen genannt werden; daher hier ein anonymer Text:
Neulich in der norddeutschen Tiefebene
Piraterie ist in aller Munde: Freibeuter nutzen fremde Texte, um sich mit akademischen Titeln schmücken zu können, Filesharer bieten beliebigen Dritten die Möglichkeit auf ihren Musik- oder Filmbestand zuzugreifen, Streamer lassen Fussballinteressierte an ihrem Pay-TV Abonnement teilhaben. Die Piraten werden mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgt, es sei denn, sie haben keine "gravierenden handwerklichen Fehler" gemacht, sondern nur verquert "Peinliches" geschrieben.
Noch nicht in das öffentliche Bewusstsein ist die Strandräuberei gedrungen. Als Strandräuber werden insbesondere ostfriesische Küstenbewohner bezeichnet, die mit falschen Leuchtfeuern Schiffe in Untiefen locken, die in Seenot geratene Besatzung erschlagen, um sich dann an den herrenlos an den Strand gespülten Waren zu bereichern. Weil Leuchtfeuer[1] heute nur noch selten für die Navigation in der Deutschen Bucht genutzt werden, sind die ostfriesischen Strandräuber offensichtlich mehrheitlich nach Übersee ausgewandert und haben bei grossen Softwarehäusern angeheuert. Ihre Irrfeuer nennen sie heute Lizenzen mit denen sie versuchen, Jedermann auf Riffe zu locken, um sie dann auszunehmen. Behaupten die Software-Strandräuber doch, dass beim Kauf eines Software-Programms eigentlich nur eine Lizenz für dessen Verwendung und nicht die Software selbst erworben wird.[2] Zwar erschlagen die Strandräuber die Software-Nutzer heute nicht mehr, aber sie versuchen die Datenreisenden mit diesem Irrfeuer dennoch zu berauben, wenn auch bei lebendigem Leibe.
Ein besonderes Irrfeuer haben die Strandräuber für Rechenzentren entfacht. Wer für Dritte rechnet, also Auftragsdatenverarbeitung betreibt, soll die eingesetzte Betriebssoftware nicht für sich selber nutzen. Es soll deshalb nicht reichen, die Betriebssoftware zu kaufen, vielmehr soll auch noch die Genehmigung des Herstellers einzuholen sein, mit Hilfe dieser Software Dienstleistungen für den Auftraggeber unter Verwendung etwa einer Lohnabrechnungssoftware erbringen zu dürfen. Die Genehmigung wird gerne erteilt, aber nur dann, wenn der Rechenzentrumsbetreiber nochmals tief in die eigene Tasche greift und dem Betriebssoftwarehersteller in die weit ausgesteckte rechte Hand weitere Euronen legt. Ansonsten wird gedroht, die linke Hand zu nutzen, die mit einem Enterhaken versehen ist.[3]
Aber vielleicht ist das Strandräuber-Modell nur die Blaupause für andere Lieferanten, die demnächst auch mit weit ausgestreckter Hand auf uns zukommen werden. Also ihr Autohersteller ändert eurer Geschäftsmodell. Verkauft erst den Wagen und wenn der Käufer Familienangehörige, Freunde, Bekannte oder sogar wildfremde Tramper mitnimmt, dann verlangt von dem Käufer einen Aufschlag auf den Kaufpreis, da der Wagen dann ja nicht nur vom Käufer genutzt wird. Und Ihr Anwälte als Organe der Rechtspflege nehmt schnell Kontakt zu den Lieferanten Eurer Betriebssoftware auf, weil Ihr doch schliesslich die Software nicht nur einsetzt, um Briefe in eigenen Angelegenheiten zu schreiben, sondern auch für Eure Mandanten. Last Euch schnell eine erweiterte Lizenz einräumen, damit Ihr Euch geschäftskonform verhaltet und nicht Gefahr lauft, wegen Softwarepiraterie verklagt zu werden.
Aber vielleicht hätten alle ostfriesischen Strandräuber vor ihrer Reise nach Übersee zunächst noch einmal in der „Letzten Kneipe vor New York“[4] einkehren und in Ruhe einen „Küstennebel“[5] trinken sollen, dann wäre ihnen der Irrwitz ihres Geschäftsmodells vielleicht aufgefallen. Zumindest einige von den Strandräubern haben diese letzte Einkehr offensichtlich genutzt und auf die beschwerliche Reise nach Übersee verzichtet. Sie nehmen jetzt die Touristen aus mit einer Kurtaxe, Zweitwohnungssteuer oder Fremdenverkehrsabgabe.
[3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Knapp-eine-Million-Schadenersatz-wegen-unlizenzierter-Software-1197631.html
[4] http://www.meine-stadt-bremerhaven.de/gastronomie-restaurant-bar-cafe/stadt/letzte-kneipe-vor-new-york.php