Strauss-Kahn und Kachelmann, New York City und Mannheim - unbequeme Vergleiche?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Als Dominique Strauss-Kahn (DSK) vor einigen Wochen verhaftet wurde, hieß es insbesondere von denjenigen, die zuvor den Freispruch Jörg Kachelmanns bedauert hatten, die amerikanischen Aufklärer von Sexualdelikten, insbesondere die Spezialeinheit der New Yorker Polizei sei offenbar den deutschen Ermittlern überlegen, die es versäumt hätten rechtzeitig und in effektiver Weise Spuren zu sichern, um eine Aufklärung der Wahrheit im Fall Jörg Kachelmann (JK) zu ermöglichen. Anders als bei JK stand für die meisten Medien schnell fest, dass DSK schuldig sei, das Zimmermädchen vergewaltigt zu haben (zuletzt noch der "Stern", ausführlich zitiert in einem lesenswerten Beitrag von Stefan Niggemeier).
Es gibt hierzulande viele Vorbehalte gegen den amerikanischen Strafprozess, insbesondere die, dass die Behörde in den USA nicht zur Objektivität verpflichtet sei, dass Prozesse wegen Wählbarkeit der Behördenführung zuweilen in Wahlkampf ausarteten, dass der "Deal" den Prozess zu stark bestimme. Nun macht der Fall DSK möglicherweise eine etwas andere Sichtweise möglich: Die US-Staatsanwaltschaften ermitteln eben nicht nur einseitig - weil sie nämlich durch die Struktur indirekt dazu gezwungen sind, viel härter zu "testen", ob die Beweislage tatsächlich ein Obsiegen im Jury-Prozess und gegen eine starke Verteidigung ermöglicht. Und sie müssen daher auch Einwände der Verteidigung prüfen. Wer nun genau die entscheidenden Fakten recherchiert hat, ist offen: Zeit-Online berichtet, es sei die Verteidigung von DSK gewesen, die Süddeutsche meint, dies sei die StA selbst gewesen. Jedenfalls werden in den USA ggf. auch Korrekturen der Sichtweise der Staatsanwaltschaft und Schwächen der Anklageposition lieber früher als später kommuniziert, so dass sie ggf. nicht erst in der Hauptverhandlung bekannt werden und dann erst recht eine krachende Niederlage verursachen.
Auch dem New Yorker Staatsanwalt Vance wird jetzt vorgeworfen, DSK zu schnell verhaftet zu haben und dessen Karriere beschädigt zu haben - Spiegel-Online tönt "US-Justizdebakel". Aber immerhin hat diese Behörde nun eine gewisse Souveränität und Professionalität gezeigt, und dies wohl auch, weil das dortige System die rechtzeitige Aufdeckung solcher Probleme mit der Beweislage fördert.
Vor diesem Hintergrund wird die problematische Verfahrensweise der Mannheimer Staatsanwaltschaft im Fall JK vielleicht noch deutlicher - nicht nur hat sie gestützt auf unerschütterliches Vertrauen in eine zeitweise nachweislich lügende Anzeigenerstatterin Ermittlungsergebnisse und Gutachten einseitig interpretiert, sie hielt an ihrer Sicht bis zum Plädoyer fest, obwohl die Beweislage dies kaum noch gestattete.
Natürlich handelt es sich um zwei Einzelbeispiele, die keineswegs pars pro toto für das jeweilige System stehen dürften. Und da beide Prozesse noch nicht (rechtskräftig) beendet sind, sollte man mit abschließenden Bewertungen auch noch vorsichtig sein, vielleicht gibt es ja noch mehr "Wenden".
Aber an einer generellen Überlegenheit des deutschen Strafprozesses könnte man schon zweifeln.