Umgang mit der Mutter ausgeschlossen weil das Kind nicht will
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Anlässlich der Trennung der Eltern im Dezember 2002 blieb der 1998 geborene Sohn zunächst bei der Mutter. Im Juni 2009 wechselte er in den Haushalt des Vaters, dem das FamG in der Folge das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertrug.
Mit Beschluss vom 31.08.2010 hat das FamG das Umgangsrecht der Mutter für ein Jahr ausgeschlossen und dem Vater aufgegeben, der Mutter vierteljährlich einen Entwicklungsbericht des Kindes sowie aktuelle Fotos von diesem zu übersenden.
Die Beschwerde der Mutter blieb erfolglos.
Ein vom Kind aufgrund seines persönlichen Empfindens und seiner eigenen Meinung geäußerter Wille muss als Ausübung seines Rechts auf Selbstbestimmung bei der gerichtlichen Entscheidung hinreichend Berücksichtigung finden. Hat der Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringes Gewicht, weil das Kind noch nicht in der Lage ist, sich einen eigenen Willen zu bilden, so kommt ihm mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit des Kindes vermehrt Bedeutung zu. Nur dadurch, dass der wachsenden Fähigkeit eines Kindes zu eigener Willensbildung und selbständigem Handeln Rechnung getragen wird, kann das auch mit dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG verfolgte Ziel, dass ein Kind sich durch Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln kann, erreicht werden.
Die gesetzliche Regelung des § 1684 Abs. 4 BGB ermöglicht daher auch dann gerichtliche Entscheidungen, welche die Umgangsbefugnis einschränken oder ausschließen, wenn das Kind dies aus ernsthaften, subjektiv beachtlichen oder verständlichen Gründen wünscht und ein erzwungenes Umgangsrecht das Kindeswohl beeinträchtigen würde. Im Falle der ernsthaft geäußerten Ablehnungshaltung eines älteren Kindes wird ein erzwungener Umgang regelmäßig zu einem größeren Schaden als Nutzen für die Entwicklung des Kindes führen, zumal dadurch der Wille des Kindes gebrochen würde. Einem älteren Kind kann in einer so ernsten und privaten Angelegenheit wie der Frage eines Umgangs mit seinem Elternteil nicht das Recht auf freien Willen abgesprochen werden. Sieht das Gericht in einem solchen Fall in Ansehung des fortgeschrittenen Alters des Kindes von der Anordnung eines, auch begleiteten, Umgangs ab, so ist dies unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden.
Das Gericht hat allerdings das Kind persönlich zu hören; soweit dieses den Umgang mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil nicht will, ist es Aufgabe des Gerichts, die Gründe für diese Einstellung zu ermitteln und sie in seine Entscheidung einzubeziehen. Diesen verfassungs- und einfachrechtlichen Maßstäben hält die auf der Grundlage eines beanstandungsfreien Verfahrens und unter vom Senat geteilter Würdigung des erstinstanzlichen Beweisergebnisses getroffene angefochtene Entscheidung, den Umgang der Mutter mit R. für die Dauer eines Jahres – also bis zum 31. August 2011 – auszuschließen, stand.
In Ansehung der aktenersichtlichen, vom Familiengericht anschaulich beschriebenen Entwicklung R. Haltung zu seiner Mutter ist auch der Senat der Auffassung, dass die im Vergleich zu einem Umgangsausschluss in Betracht kommenden Alternativen einer Umgangsregelung – sei sie begleitet oder unbegleitet oder wiederum mit einer Umgangspflegschaft verbunden –R. Wohl gefährdete, weil sie hier zwangsweise durchgesetzt werden müsste. Allerdings verstößt der Vater dauerhaft und beharrlich gegen seine oben beschriebene, § 1684 Abs. 2 BGB entspringende Wohlverhaltenspflicht. Denn er stellt es R. aktenersichtlich frei, ob dieser Umgang mit der Mutter haben will oder nicht, wobei erschwerend hinzukommt, dass er sich hierzu jedenfalls auch aus sachfremden, kindeswohlwidrigen Motiven hinreißen lässt. Dies hat er selbst im Anhörungstermin vom 20. April 2010 anschaulich werden lassen, in welchem er darauf hingewiesen hat, dass er selbst R. früher – also vor dem Obhutswechsel – „auch nur alle zwei Wochen sehen durfte“. Diese Äußerung, die Spiegel des Gesamtverhaltens des Vaters in Bezug auf den Umgang R. mit der Mutter ist, lässt den unabdingbaren Abstand und die notwendige selbstkritische Befassung mit dem eigenen erzieherischen Verhalten vermissen, die jeder Elternteil seinem Kind auch dann schuldet, wenn er wegen von ihm so empfundenen Fehlverhaltens des anderen Elternteils diesem jenes gerne „heimzahlen“ würde. Die zumindest nonverbale Ablehnung des Umgangs der Mutter mit R. durch den Vater überträgt sich dabei umso heftiger auf R., als jener für diesen dem überzeugenden Sachverständigengutachten zufolge große Vorbildfunktion hat. R. ordnet sich weitgehend der Weltanschauung, den Ansichten und der Lebensweise seines Vaters unter. Umso mehr hätte der Vater es also in der Hand – und war und bleibt er verpflichtet –,R. zumindest zu Umgangskontakten im Beisein Dritter zu motivieren und zu bewegen, wobei der Senat Verständnis dafür hat, dass die Mutter den Umgang zuletzt aufgrund gegen sie erhobener Vorwürfe nicht mehr alleine mit R. ausüben wollte.
Unbeschadet des Umstandes, dass der Vater R. ersichtlich von der Mutter und deren Familie zu entfremden sucht, ist nach Auffassung des Senats bei den derzeit gegebenen Gesamtumständen eine Umgangsanordnung im Lichte R. Wohls nicht vertretbar. Diese müsste angesichts der in der Vergangenheit gescheiterten Versuche, R. dauerhaft zu freiwilligem Umgang mit seiner Mutter zu bewegen, zwangsweise gegen den Vater durchgesetzt werden. Wollte man – auf dem Umweg über solche Zwangsmaßnahmen – den Willen R. brechen, der angesichts seines Alters von inzwischen fast 13 Jahren erhebliches Gewicht mit Blick auf sein zunehmendes Bedürfnis nach Selbstbestimmung hat, so beeinträchtigte dies zum einen sein Selbstwertgefühl stark, was seine Persönlichkeitsentwicklung gefährdete.
Zum anderen bärge dies die leicht vorhersehbare und unmittelbare Gefahr, dass R. seine Mutter noch mehr ablehnt und sich gerade dadurch noch stärker mit seinem Vater solidarisiert. Dies wiederum machte nicht nur die Hoffnung auf eine erneute Annäherung R. an seine Mutter völlig zunichte, sondern bedeutete zugleich eine Verstärkung der bereits durch Symbioseelemente gekennzeichneten Beziehung R. zu seinem Vater. Dann würde R. noch stärker in eine psychisch ungesunde Isolierung von der sozialen Außenwelt gedrängt. Dass diese der Auflockerung bedarf, hat das Familiengericht im Verfahren 17 F 409/10 SO zu Recht angenommen und – erste – Maßnahmen ergriffen, um R. etwas aus der Vereinnahmung durch den Vater und dessen Familie herauszunehmen, indem es dem Vater die Weisung erteilt hat, R. in der schulischen Nachmittagsbetreuung anzumelden und darauf hinzuwirken, dass R. daran teilnimmt. Solch fortschreitende Ablehnung der Mutter durch R. wäre auch deshalb für diesen gefährdend, weil sich dadurch aller Voraussicht nach die Qualität seines Willens veränderte. Die Sachverständigen haben festgestellt, dass der in Bezug auf den Umgang mit seiner Mutter ablehnende Wille R. zurzeit noch nicht als eigener Wille verinnerlicht ist, sondern R. im Verhalten den Wünschen seines Vaters folgt. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den aussagekräftigen Beobachtungen des Umgangspflegers, der unter anderem – kurz gewendet – berichtet hat, dass R. sich selbst anlässlich der Umgangstermine dabei ertappt hat, positive Gefühle für die Mutter zu haben, sich dies aber dann nicht gestattet hat. Außerdem zeigt sich die Richtigkeit dieses sachverständigen Urteils auch darin, dass die Gründe, die R. gegen den Umgang vorbringt, zwar aus subjektiv-kindlicher Sicht noch im Ansatz begreiflich sein mögen, indessen bei objektivierter Betrachtungsweise auch unter Berücksichtigung der Spannbreite möglicher kindlicher Empfindungen nicht belastbar genug sind, um eine derart radikale Ablehnung des anderen Elternteils völlig nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Setzte man mithin den Umgang zwangsweise durch, so stünde zu erwarten, dass R. mehr und mehr seine auf dem Loyalitätskonflikt beruhende Ablehnung der Mutter – die für ihn zurzeit der einzig emotional gangbare Ausweg ist – als eigenen, autonom gebildeten Willen erlebt, zumal er bei fortdauernden Umgangskontakten immer wieder mit dem gegen den Umgang gerichteten Willen seines Vaters konfrontiert werden würde. Die dann zu gewärtigende Verinnerlichung des väterlichen Willens mit der Folge einer auch innerlich erlebten Entfremdung R. von seiner Mutter hätte das Gegenteil dessen zufolge, was die Mutter erstrebt, und wäre dann umso schwerer aufzubrechen.
Der Senat schließt sich daher der Auffassung des Familiengerichts an, dass der hohe psychische Druck, der derzeit auf R. lastet, von ihm genommen werden muss. In der Abwägung der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel erweist sich – auch im Lichte des bei Umgangsausschlüssen strikt zu wahren Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – vorliegend allein der Umgangsausschluss als geeignet, einer weiteren Gefährdung R. entgegenzuwirken. Nur hierdurch kann die Belastung R. auf ein ihn nicht mehr gefährdendes Maß zurückgeführt werden, weil alle anderen umgangsrechtlichen Alternativen entweder schon erfolglos vom Familiengericht versucht worden sind oder aber mit einer Vollstreckung einher gehen würden, die – wie aufgezeigt –R. Wohl gefährdete.
OLG Saarbrücken v. 24.01.2011 - 6 UF 116/10