Münchener Staatsanwaltschaft klagt erst einmal das Gewaltopfer an und stellt das Verfahren gegen die Täter ein
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Bernd Kastner berichtet heute in der Süddeutschen über einen Fall, der Dank des OLG München noch einmal glimpflich ausgegangen ist. StA und Generalstaatsanwaltschaft waren mit oberflächlichen polizeilichen Ermittlungen zufrieden, und klagten das von einem Supermarktinhaber zusammengeschlagene Opfer wegen Ladendiebstahls und falscher Verdächtigung an.
Was war passiert? Zwei Markt-Mitarbeiter, der 41-jährige Chef und ein 23-jähriger Verkäufer, behaupteten, der "Dieb" habe versucht abzuhauen. Dabei sei er gegen eine Wand gerannt und habe sich am Kopf verletzt. Eine Nachbarin, die vom Balkon aus das Geschehen beobachtet haben will, bestätigte dies. Abdul M. erzählt eine andere Geschichte: Er sei in den Hinterhof des Markts gebeten worden, wo ihm ein Mitarbeiter angeboten habe, nicht die Polizei zu verständigen, wenn er 500 Euro Strafe zahle. M. aber wollte die Sache durch die Polizei klären lassen.
(...) Der Verkäufer habe ihn festgehalten, während der Chef ihm mit einem Knüppel in die Kniekehlen und auf den Kopf geschlagen habe. Stark blutend alarmierte M. die Polizei, ein Krankenwagen brachte ihn in die Klinik. Diagnose: eine acht Zentimeter lange Kopfplatzwunde, ein Schädelhirntrauma, ein Hämatom an der Kniekehle, Pulsieren im Kopf, Angstgefühle, Schlaflosigkeit. (Quelle)
Obwohl die konkreten Verletzungen des Opfers auf anderes hinwiesen, glaubten Polizei und Staatsanwaltschaft den Beteuerungen der Täter, das Opfer sei ein Ladendieb, der bei der Flucht gegen eine Wand gelaufen sei. Ein beantragtes rechtsmedizinisches Gutachten wurde mehrfach abgelehnt, das Verfahren gegen die Täter eingestellt. Glücklicherweise wurde es einer der seltenen Fälle, in denen ein Klageerzwingungsverfahren erfolgreich betrieben wurde:
Das OLG hat auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der beiden Entlastungszeugen: Die Nachbarin sei offenbar eine Bekannte des Beschuldigten; und der Verkäufer hätte nicht als Zeuge, sondern als Beschuldigter geführt werden müssen, belehrt das OLG die Staatsanwaltschaft. Schließlich soll dieser den vermeintlichen Ladendieb gehalten haben, während der Chef zugeschlagen habe.
Erst jetzt forderte die Staatsanwaltschaft die Kripo auf, weitere Zeugen zu vernehmen; erst jetzt wurden Fotos vom Tatort angefertigt; erst jetzt wurde geklärt, wie die Nachbarin zu den Schlägern steht. Und siehe da: In einer Vernehmung gab die Frau zu, gelogen zu haben, M. sei mit Brettern geschlagen worden. (...)
Knapp zwei Jahre nach der Tat erging erneut Anklage, nun gegen den Supermarkt-Chef und den Verkäufer. Vor dem Amtsgericht gestanden die Angeklagten nun die Schläge, verurteilt wurde der eine zu einem Jahr, der andere zu neun Monaten Haft auf Bewährung. Sie verpflichteten sich, dem Opfer 1500 Euro zu zahlen.
Wenn die Darstellung in der SZ zutrifft, fast schon peinliche Ermittlungen, eines Rechtsstaats unwürdig. Aber, laut Staatsanwaltschaft:
Zum jeweiligen Zeitpunkt sei jede Entscheidung nachvollziehbar gewesen. Den Vorwurf, schlampig ermittelt zu haben, kommentieren die Ermittler nicht.
Hoffentlich ein bedauerlicher Einzelfall.