Hessisches LAG zur außerordentlichen Eigenkündigung ohne wichtigen Grund
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Mit Schreiben vom 11.12.2009 kündigt die Arbeitnehmerin ihr Arbeitsverhältnis selbst zum 31.01.2010. Die Arbeitgeberin bestätigt den Erhalt des Kündigungsschreibens und akzeptiert die Beendigung zu dem angegebenen Termin. Daraufhin klagt die Arbeitnehmerin auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Ihre Eigenkündigung sei unwirksam. Sie habe sie nämlich nur ausgesprochen, um einer angedrohten fristlosen Kündigung der Arbeitgeberin zuvorzukommen.
Das Hessische LAG gibt der Klägerin Recht (Urt. vom 25.05.2011 - 17 Sa 222/11, BeckRS 2011, 75516):
Kündigung mangels wichtigen Grundes nicht nach § 626 BGB wirksam
Als außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB sei die Kündigung unwirksam, weil die Arbeitnehmerin hierfür keinen wichtigen Grund hatte. Selbst wenn die von der Arbeitgeberin angedrohte fristlose Kündigung unwirksam gewesen wäre, stelle dies keine so erhebliche Vertragsverletzung dar, dass die Arbeitnehmerin darauf mit einer fristlosen Kündigung hätte reagieren dürfen.
Kündigung mangels Wahrung der Frist nicht als ordentliche wirksam
Die Kündigung sei auch nicht als ordentliche Kündigung wirksam. Die Klägerin habe nämlich die tarifvertragliche Kündigungsfrist nicht eingehalten. Da die Arbeitgeberin zum Ausdruck gebracht habe, dass sie eine Eigenkündigung der Klägerin nur zum 31.01.2010, nicht aber zu einem späteren Zeitpunkt akzeptieren werde, stehe und falle die Wirksamkeit der Kündigung mit der in ihr genannten Kündigungsfrist.
Aufhebungsvertrag formunwirksam
Die Kündigung könne zwar in ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages umgedeutet werden. Ein solcher sei aber nicht formwirksam zustande gekommen, da die Arbeitgeberin ihre Annahme nicht auf derselben Urkunde erklärt habe (§§ 623, 126 BGB).
Kein Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB)
Der Klägerin sei schließlich auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf das Fehlen eines wichtigen Grundes für ihre Eigenkündigung zu berufen: Die Rechtsordnung lasse widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Rechtsansichten dürften geändert werden. Jeder Partei stehe es auch grundsätzlich frei, sich auf die Nichtigkeit von ihr selbst abgegebenen Erklärungen zu berufen. Der Vorwurf treuwidrigen oder missbräuchlichen Verhaltens aufgrund Widerspruchs zu vorangegangenem Verhalten setze dementsprechend neben dem Widerspruch als solchem grundsätzlich voraus, dass für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder sonstige besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Dem eine außerordentliche Kündigung aussprechenden Arbeitnehmer sei es daher grundsätzlich nicht verwehrt, sich auf deren Unwirksamkeit wegen fehlenden Kündigungsgrundes zu berufen; die Grenze sei Rechtsmissbrauch. Ein solcher sei hier angesichts der angedrohten Kündigung durch die Arbeitgeberin nicht zu erkennen.