Paukenschlag aus Erfurt: Mehr Urlaub für jüngere Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzt (AGG) hält insbesondere für den öffentlichen Dienst unangenehme und sehr teure Überraschungen bereit. Nach der Entscheidung zu der an das Lebensalter anknüpfenden Vergütung ist nunmehr eine entsprechende Regelung zum Erholungsurlaub vom BAG (Urteil vom 20.3.2012 – 9 AZR 529/10) beanstandet worden. Konkret geht es um § 26 Abs. 1 Satz 2 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD). Hiernach beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage. Die am 27. Oktober 1971 geborene und seit 1988 beim beklagten Landkreis beschäftigte Klägerin wollte festgestellt haben, dass ihr in den Jahren 2008 und 2009 und damit schon vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres über den tariflich vorgesehenen Urlaub von 29 Arbeitstagen hinaus jeweils ein weiterer Urlaubstag zugestanden hat. Sie hatte geltend gemacht, die altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verstoße gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters. Das BAG gab der Klägerin jetzt recht (so übrigens auch schon LAG Düsseldorf v. 18.1.2011, BeckRS 2011, 73310). Die Differenzierung der Urlaubsdauer nach dem Lebensalter in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD benachteilige Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unmittelbar und verstoße gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters. Die tarifliche Urlaubsstaffelung verfolge nicht das legitime Ziel, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen. Ein gesteigertes Erholungsbedürfnis von Beschäftigten bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr ließe sich auch kaum begründen. Brisant ist nun die Rechtsfolge der festgestellten Diskriminierung: Hierzu führt das BAG aus, der Verstoß könne nur beseitigt werden, indem die Dauer des Urlaubs der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten in der Art und Weise „nach oben“ angepasst wird, dass auch ihr Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage beträgt. Für das Land Berlin bedeutet das z.B., dass die Beschäftigten dort künftig 13.300 Tage zusätzliche Urlaubstage erhalten müssen. Man wird auch davon ausgehen, dass viele jüngere Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (der anspruchsberechtigte Personenkreis wird von ver.di auf ca. 850.000 geschätzt) nunmehr rückwirkend Urlaubsansprüche geltend machen können. Die Rückwirkung könnte allerdings durch tarifvertragliche Verfallklauseln gekappt werden. Darüber findet sich in der Pressemitteilung nichts. In der Privatwirtschaft sind die entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen vielfach schon entschärft worden. Auf Branchen, in denen sich immer noch altersabhängige Urlaubs-Staffelungen finden, dürfte das Urteil des BAG allerdings übertragbar sein.