Richter sperrt Angeklagten zur Geständniserpressung (?) mal kurz in die Arrestzelle - Rechtsbeugung?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der Richter auf Probe hatte wohl die Faxen dicke. Da wollte doch der wegen § 183 StGB (nicht verteidigt) vor Gericht stehende einfach nicht einräumen, dass er vorsätzlich unzureichend bekleidet in der Öffentlichkeit unterwegs gewesen war.
In der Hauptverhandlung bestritt der damalige Beschuldigte den Tatvorwurf. Der Angeklagte (...) wirkte nun nachhaltig und zunehmend erregt und drohend auf den damaligen Beschuldigten ein, um diesen zu einem Geständnis und zur Erklärung zu veranlassen, in eine ambulante Therapie einzuwilligen. Außerdem wollte er erreichen, dass der Beschuldigte nach Urteilsverkündung sogleich auf Rechtsmittel verzichtete.(becklink zur PM des BGH)
Schließlich zeigte er ihm die Instrumente des Rechtsstaats, auf "ungewöhnliche" Weise:
«Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann», und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden. Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen.(becklink)
Der Richter wurde wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und Aussageerpressung (§ 343 StGB) angeklagt, vom LG Kassel jedoch freigesprochen. Zwar sei der Tatbestand der Aussageerpressung erfüllt, jedoch nicht derjenige der Rechtsbeugung, was bekanntermaßen das "Richterprivileg" der Sperrwirkung auslöst. Die Begründung des LG Kassel: Der Richter sei davon ausgegangen, gegen den Strafbefehl sei nur wegen des Strafmaßes Einspruch eingelegt worden:
Das LG hat es zwar als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte den damaligen Beschuldigten durch sein prozessordnungswidriges Verhalten zu einem Geständnis habe zwingen wollen. Es hat aber angenommen, dies sei nicht mit der für den Rechtsbeugungsvorsatz erforderlichen Zielrichtung geschehen, dem Zeugen einen unrechtmäßigen prozessualen Nachteil zuzufügen. Denn der Angeklagte sei unwiderlegt davon ausgegangen, nur noch über die Rechtsfolgen der Tat entscheiden zu müssen. Für die Verurteilung sei es daher aus der Sicht des Angeklagten auf das Geständnis nicht mehr angekommen. Wegen der Sperrwirkung des § 339 StGB sei auch eine mögliche Aussageerpressung straflos.
Damit hat das LG m.E. eine kaum nachvollziehbare Argumentation bemüht, um den Richter aus welchen Gründen auch immer zu schützen; sie trifft aber m.E. weder objektiv noch subjektiv zu.
Objektiv: Natürlich spielt auch bei der Frage der Rechtsfolgen das Geständnis eine, in vielen Fällen sogar eine entscheidende Rolle. Aber hier ging es nach den Berichten auch darum, dass sich der (damals) Angeklagte auf eine ambulante Therapie einlassen sollte, die der Richter als angemessene Reaktion ansah.
Subjektiv: Wenn es nach Ansicht des Richters auf ein Geständnis (oder eine andere Erklärung, vgl. § 343 StGB) gar nicht mehr ankam, warum hat er dann überhaupt so gehandelt wie geschehen? Gerade sein extremes Verhalten zeigt, dass es ihm auf ein Geständnis, Einsicht in seine Therapiebedürftigkeit oder auf andere rechtserhebliche Erklärungen des damals Angeklagten (Einwilligung in Therapie, Rechtsmittelverzicht) ankam.
Der BGH hat den Freispruch also ganz zutreffend aufgehoben (BGH 2 StR 610/11 Beschluss vom 31.05.2012), und weitere Aufklärung über die Motivik des Richters verlangt.
In der Taz berichtet Christian Rath (Auszug):
Richter R. hatte sich bei der Verhandlung in Karlsruhe gerechtfertigt, mit bestimmten Menschen müsse man auch mal „in einem anderen Ton sprechen“. Der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Fischer fragte empört nach: „Und wenn die Welt sich nicht verbessern lässt, dann geht man eben in den Keller?“ Proberichter R. wurde nach dem Vorfall nicht übernommen und arbeitet nicht mehr als Richter.
(Besten Dank an Blogleser "Mein Name" für den Hinweis auf diesen Fall und an PH für diesen Link, in dem sich Guido Kirchhoff unter Nennung von weiteren Hintergründen für den Proberichter einsetzt)
Hinweis auf die Blogdiskussionen bei Nebgen, und Vetter. Zum Teil wird in den dortigen Kommentaren die Ansicht vertreten, der jetzt angeklagte Richter habe zugunsten des damalig Beschuldigten gehandelt bzw. handeln wollen. Aus der Pressemitteilung des BGH geht dies allerdings nicht hervor.
Interessant auch dieser frühere Bericht der HNA - die Sichtweise der Staatsanwaltschaft wiedergebend:
Nach dem (freisprechenden) Urteil des LG Kassel sei Motiv des Richters gewesen, Fragen wegen der hohen Kosten des zuvor eingeholten psychiatrischen Gutachtens abzuwenden (Quelle). Die Kosten (angeblich 2700 Euro) habe der Verurteilte zu tragen gehabt.
Update (nach weiteren Recherchen): Nach einem früheren Bericht der taz lag der Strafbefehl bei 400 Euro. In seinem (unbeholfenen) Einspruchsschreiben habe sich der Betr. entschuldigt und um eine Herabsetzung der Strafe gebeten.
In einigen Stellungnahmen wird nun der Proberichter in Schutz genommen, er habe letztlich den damals Angeklagten mit einer bloßen Verwarnung und ambulanter Therapie tatsächlich besser davon kommen lassen. Allerdings bleiben dabei die Kosten des psychiatrischen Gutachtens unbeachtet, die mehr als das sechsfache der ursprünglichen Strafe betrugen. Wenn das zutrifft, wird man wohl kaum vertreten können, der Richter habe nur zugunsten des Angeklagten agiert.