"Mad or Bad" - Norwegisches Gericht steht vor einer schwierigen Entscheidung
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft (Bericht der FAZ) und die Diskussionen in Norwegen und anderswo offenbaren ein Dilemma: Nach den sich widersprechenden Gutachten ist Breivik wegen vielfachen Mordes entweder als nur psychisch gestört und voll schuldfähig oder als psychisch krank und daher schuldunfähig anzusehen. Im ersten Fall wäre die Höchststrafe nach norwegischem Strafrecht 21 Jahre, im zweiten Fall könnte - wie nach § 63 StGB in Deutschland - eine unbestimmt lange Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erfolgen, die erst endet, wenn der Mann als therapiert bzw. jedenfalls nicht mehr gefährlich angesehen wird. Die Vorstellung, sie könnten demjenigen, der ihre Kinder oder Geschwister getötet hat, schon nach zwei Jahrzehnten wieder auf der Straße begegnen, erscheint vielen Angehörigen wohl ebenso schmerzhaft wie andererseits die Vorstellung, der so planvoll seine Taten durchführende und "klar bei Sinnen" auftretende Mann werde von der Verantwortung für seine Taten entlastet.
Das norwegische Recht ist mir nicht näher bekannt, aber zwei Fragen kann man auf Grundlage der Diskussion zumindest im Blick auf das deutsche Strafrecht ansprechen, auch um auszuloten, wie das deutsche Strafrecht auf solche extremen Taten reagieren könnte.
In dubio pro reo?
Die Staatsanwaltschaft plädiert für die Schuldunfähigkeit und damit die Unterbringung, indem sie den Grundsatz i.d.p.r. anführt: Da man dem Angeklagten auf Grund der widersprechenden psychiatrischen Gutachten nicht seine Schuldfähigkeit nachweisen könne, dürfe man ihn i.d.p.r. nicht verurteilen, sondern müsse die Unterbringung als Rechtsfolge wählen. Auch nach deutschem Strafrecht ist die Schuld nachzuweisen, so dass der Grundsatz i.d.p.r. Anwendung findet. Bei Zweifeln muss zugunsten des Angeklagten entschieden werden. Lässt sich nicht ausschließen, dass der Angeklagte wegen einer psychischen Krankheit das Unrecht seiner Tat nicht einsehen konnte oder nicht nach dieser Einsicht handeln konnte, dann darf er nicht verurteilt werden. Nach § 20 StGB kommt zudem nicht nur eine Psychose, sondern auch eine "schwere andere seelische Abartigkeit" - z.B. eine schwere Persönlichkeitsstörung - für den Schuldausschluss in Betracht; das erweitert das Spektrum nicht unerheblich (auch für die Anwendung von i.d.p.r.).
Die Entscheidung für die Unterbringung nach § 63 StGB unterliegt nach h.M. hingegen nicht dem Zweifelsgrundsatz. Lediglich die Tatsachengrundlagen für die Annahme der Gefährlichkeit müssen erwiesen sein, die Prognose selbst („für die Allgemeinheit gefährlich“) kann als Zukunftsvorhersage ohnehin nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgen. Das ist auch kein "Loch in der Logik der Staatsanwaltschaft", wie im Blog Zettels Raum behauptet wird.
Die Alternative: Freiheitsstrafe oder Unterbringung
Wohl wegen entsprechender Regelung im norwegischen Strafrecht wird bisher nur die Alternative Freiheitsstrafe ODER Unterbringung diskutiert. Diese strenge Alternative besteht im deutschen Strafrecht nicht, weil nach § 21 StGB noch differenziert werden kann je nach Einfluss einer (feststehenden) seelischen Störung auf die konkrete Tat. § 21 StGB ermöglicht die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit, nach der sowohl eine (nicht zwingend mildere) Freiheitsstrafe als auch die Unterbringung erfolgen kann. Die Unterbringung wird dann in der Regel vor der Strafe vollzogen und zu maximal zwei Dritteln auf diese angerechnet (§ 67 StGB).
Eine rein ergebnisorientierte Entscheidungsfindung ist jedoch dem Recht fremd und wäre rechtsstaatlich fatal. Dennoch wird eben dies, z. B. von Georg Paul Hefty in der FAZ vorgeschlagen. Seine Argumentation beruht aber offenbar auf einer Verwechslung von moralischer mit geistiger Gesundheit. Geradezu abwegig ist sein Argument, schon das Bestreiten Breiviks geistig erkrankt zu sein sei ein Indiz für eine Psychose.
Diskutiert wird auch hier.