LAG Hamm: Frage nach Ermittlungsverfahren bei Einstellung nur eingeschränkt zulässig
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Das Fragerecht des Arbeitgebers im Vorfeld einer Einstellung ist ein Klassiker, dem in der Praxis allerdings immer wieder neue Facetten abgewonnen werden. Zuletzt wurde darüber diskutiert, welche Auswirkungen das AGG und das Datenschutzrecht auf das Fragerecht haben. Aber auch bei den hiervon nicht betroffenen Bewerberfragen sind bei weitem noch nicht alle Punkte geklärt. Eine sehr häufig gestellte Frage geht dahin, ob gegen den Bewerber in den letzten (z.B. drei) Jahren staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sind. Meist wird diese Frage mit derjenigen nach Vorstrafen kombiniert. Das LAG Hamm (Urteil vom 10.03.2011, BeckRS 2011, 72485) hatte sich jetzt mit der Frage nach den staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren näher auseinandergesetzt und auch hier Einschränkungen formuliert. Ein 48-jähriger Diplomingenieur hatte sich als Seiteneinsteiger an einer Hauptschule beworben und bekam eine Lehrerstelle im September 2009. Bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst musste er eine Erklärung unterzeichnen, in der es unter anderem hieß: „Ich versichere, dass gegen mich kein gerichtliches Strafverfahren und kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen eines Vergehens oder Verbrechens anhängig ist oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen ist.“ Einen Monat später erhielten die Schule und die Bezirksregierung einen anonymen Hinweis, dass der Lehrer "unter Verdacht des Kindesmissbrauchs" stehe. Die Staatsanwaltschaft teilte daraufhin mit, dass es gegen den Ingenieur in den drei Jahren zuvor fünf Ermittlungsverfahren gegeben hatte. Das Land Nordrhein-Westfalen kündigte dem frisch eingestellten Lehrer noch in der Probezeit. Allerdings stellte sich heraus, dass sämtliche Ermittlungsverfahren einstellt worden waren (Einstellungen nach §§ 153 I, 153 a StPO / Einstellung unter Verweisung auf Privatklage). Das Land warf ihm eine „wahrheitswidrige Erklärung“ vor und hielt die Kündigung somit für gerechtfertigt. Das LAG erklärte die (hilfsweise) ausgesprochene ordentliche Kündigung jedoch für unwirksam, da das beklagte Land den Kläger zu weitgehend nach abgeschlossenen Ermittlungsverfahren befragt habe. Denn bei der Einstellung eines Bewerbers sei die Frage nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ebenso wie die Frage nach Vorstrafen nur eingeschränkt zulässig. Die Frage nach „innerhalb der letzten 3 Jahre anhängig gewesen[en]“ Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ist – so das LAG im Leitsatz - regelmäßig unzulässig, soweit sie sich auf Ermittlungsverfahren bezieht, die im Zeitpunkt der Befragung abgeschlossen sind, ohne dass es zu einer Verurteilung gekommen ist. Das LAG lässt es offen, ob eine Ausnahme zu machen ist, wenn abgeschlossene Ermittlungsverfahren für die in Aussicht genommene Arbeitstätigkeit in spezifischer Weise einschlägig sind. Nach diesen Grundsätzen ist nach Ansicht des LAG die dem Kläger ausgesprochene ordentliche Kündigung innerhalb der Probezeit wegen Verstoßes gegen das Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB unwirksam, wenn sie damit begründet wird, der Lehrer habe bei Beantwortung der Frage nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren der letzten 3 Jahre mehrere eingestellte Ermittlungsverfahren nicht angegeben. Selbstverständlich – so ist zu ergänzen – kommt unter diesen Umständen auch keine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung in Betracht.