Fall Mollath - was sind die Fehler der bayerischen Justiz? (mit Update 21.11.)
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Heute Mittag will sich die bayerische Justizministerin Beate Merk erneut im Landtag zum Fall Mollath äußern. Nach den Fernseh (Report Mainz)- und Presseberichten (SZ, Stern) soll es "eng" für sie werden. Politisch will ich das nicht beurteilen, aber eine nähere Prüfung der bekannt gewordenen Fakten legt doch einige Fehler der Justiz nahe, die schnellstmöglich aufgeklärt werden sollten.
Mollath ist seit Jahren in verschiedenen forensisch-psychiatrischen Kliniken untergebracht. Grundlage dafür ist ein Urteil des LG Nürnberg-Fürth, das ihn wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 20 StGB vom Tatvorwurf (Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung) freisprach. Zudem wurde er nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, da ihm eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit attestiert wurde.
Betrachtet man sich das Urteil (rechtskräftig seit Februar 2007) und die einzelnen Schriftsätze und Unterlagen, die Unterstützer des Betroffenen auf einer Website faksimiliert eingestellt haben, stellen sich folgende Fragen:
Auffällig an den Urteilsgründen ist, dass das Gericht den Tatvorwurf Körperverletzung allein auf die Angaben der Ehefrau stützt, deren Strafanzeige erst 15 Monate nach der (angeblichen) Tat vom August 2001 erfolgte. Es wird bei der Beweiswürdigung nicht einmal auf diesen, bei einem derart schweren Tatvorwurf (Würgen fast bis zur Bewusstlosigkeit) doch ungewöhnlichen, Umstand eingegangen. Aber vielleicht kein Wunder: Das Urteil nennt gleich in der ersten Zeile der Gründe ein falsches (um drei Jahre abweichendes) Datum der Tat.
In der Würdigung der Zeugenaussage der Ehefrau nicht erwähnt wird auch der damals erhobene Vorwurf an seine Ehefrau, sie habe für Kunden der HVB Schwarzgeld in die Schweiz geschafft. Dies wäre immerhin ein Motiv dafür, ihren Mann falsch zu beschuldigen, er habe sie geschlagen und gewürgt und sei überdies nicht ganz zurechnungsfähig. Bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen hätte sich das Gericht mit der Hypothese, die Anschuldigung der Ehefrau sei falsch, zumindest auseinandersetzen müssen. Aber in den Urteilsgründen wird die Schwarzgeldaffäre pauschal als „Fixe Idee“ des Angeklagten bezeichnet und damit in den Bereich der Phantasie verwiesen. Die Tat selbst wird bei der Begründung des § 20 StGB als Folge eines "wahnhaften Erlebens" dargestellt, wobei der angebliche Wahn sich eben auf die Schwarzgeldaffäre bezogen haben soll.
Die im Prozess erhobene Strafanzeige gegen seine Frau enthielt konkrete Angaben mit Namen, Beträgen und schweizerischen Konten. Viel konkreter hätte man es nicht darstellen können; nach juristischen Kriterien begründeten diese Angaben zumindest einen Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung und Beihilfe dazu. Gegen die Nürnberger Staatsanwältin, die ein Strafverfahren im Jahr 2004 mit offenbar fehlerhafter Begründung gar nicht erst eingeleitet hat (Faksimile der Mitteilung findet sich auf der Website), liegt damit meines Erachtens möglicherweise selbst der Anfangsverdacht einer Strafvereitelung im Amt vor. Allerdings dürfte dieser Vorwurf mittlerweile ohnehin verjährt sein, ebenso wie evtl. strafrechtliche Vorwürfe gegen die Ex-Ehefrau des Herrn Mollath und ihre Kollegen, die geholfen haben sollen, Geld in die Schweiz zu schaffen.
Wie das Urteil gingen die psychiatrischen Gutachten davon aus, dass (zumindest) ein maßgebliches Thema des "Wahns" bzw. der "Paranoia" des Herrn Mollath ein von seiner Frau mitbetriebenes Schwarzgeldsystem sei. Offenbar folgten die Gutachter damit dem von der Justiz erzeugten Eindruck, diese Vorwürfe seien insgesamt nur Hirngespinste des Herrn Mollath. Der Prüfbericht der HVB, schon 2003 – also bereits vor dem Urteil! - erstellt, aber erst jetzt bekannt geworden, zeigt aber wohl nach den Presseberichten, dass diese Vorwürfe in der Tat Substanz hatten. Ob dies eine völlig andere Würdigung der angeblichen Gefährlichkeit des Herrn Mollath zwingend mit sich bringt, lässt sich derzeit nicht beurteilen. Dass die Justizministerin aber nun behauptet, die jetzt zum Teil bestätigten Vorwürfe das Schwarzgeld betreffend und die Gefährlichkeit des Herrn Mollath seien völlig unabhängig voneinander, ist bei objektiver Würdigung nicht nachvollziehbar.
Vielleicht wurde die Justizministerin von den ihr unterstellten Behörden fehlinformiert. Die Justizministerin täte aber gut daran, die Sachbearbeitung durch die Nürnberger Staatsanwaltschaft selbst zu untersuchen bzw. einmal von unabhängiger Seite untersuchen zu lassen - das ist ihre Verantwortung.
Man kann nicht ausschließen, dass zur Tatzeit bzw. zum Zeitpunkt der Urteilsfindung durchaus eine die Schuld ausschließende psychische Störung oder Erkrankung vorgelegen hat oder noch vorliegt. Aber eine akute Gefährlichkeit für die Allgemeinheit pauschal zu bejahen, obwohl die zugrundeliegenden Taten zum Urteilszeitpunkt schon etliche Jahre zurücklagen, ohne dass der in Freiheit befindliche Mann weiter mit aggressivem Verhalten aufgefallen wäre, erscheint mir fraglich. Zumal die (angeblichen) Taten zu Lasten seiner Frau vor dem Hintergrund der sich bestätigenden Schwarzgeld-Vorwürfe in einem ganz anderen Licht erscheinen. Zumindest findet sich kaum einmal eine plausible Prüfung der Verhältnismäßigkeit der (weiteren) Unterbringung. So sieht es offenbar auch die Menschenrechtsbeauftragte der bayrischen Landesärztekammer.
Dies ist ein Vorwurf (vielleicht der schwerste) an die Justiz: Kennt man dort den strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 62 StGB? Wurde hier - entgegen den gesetzlichen und menschenrechtlichen Vorgaben - nur routinemäßig die jeweils weitere Unterbringung geprüft und schlicht deshalb verlängert, weil sich der Untergebrachte einer Therapie verweigert?
Update: Frau Staatsministerin Merk im längeren Interview mit Report Mainz. (youtube-Link, ARD-Link)
Update: Die Landtagsdebatte am 15.11. im Video.
Ergänzung (20.11.): Protokoll Rechtsausschuss vom 8.3.2012
Der Prüfbericht der HVB ist mittlerweile im Internet verfügbar.
Update (19.11.): In einem Bericht der SZ von heute morgen wird dieser Artikel auszugsweise (fragmentarisch) zitiert. Daraufhin gab es in einem weiteren Bericht der SZ von heute abend bzw. morgen (ganz unten) auch eine Reaktion des OLG Nürnberg. Dabei soll das Argument genannt worden sein, für die Überprüfung von Urteilen seien nur Gerichte zuständig. Selbstverständlich ist für die juristische Überprüfung eines LG-Urteils nur der BGH zuständig, der die Revision im vorl. Fall verworfen hat, wodurch es rechtskräftig wurde. Rechtskräftige Urteile (einschließlich solche des BGH und des BVerfG) können aber natürlich kritisiert werden, und das ist in der Rechtswissenschaft absolut üblich. Kritik (und Replik) sorgt im Rechtsstaat für die nötige Transparenz.
Update (21.11.): Der Bayerische Richterverein hat einen Offenen Brief an mich gerichtet. Ich habe darauf geantwortet:
Sehr geehrter Herr Groß,
vielen Dank für Ihren Offenen Brief, mit dem Sie auf eine Meldung in der SZ vom 18.11.2012 reagieren.
Erlauben Sie mir darauf zu antworten. Durch den SZ-Bericht mag wohl der Eindruck entstanden sein, ich hätte mich für eine ministerielle Überprüfung des Urteils ausgesprochen. Aber ein solches Ansinnen liegt mir selbstverständlich völlig fern. Herr Przybilla von der SZ hat mich in Reaktion auf meinen Beitrag im Beck-Blog vom 14.11.2012 angerufen. Da ich ich ihm über den Blog-Beitrag hinaus nichts Weiteres mitteilen konnte, hat er die wörtlichen Zitate aus dem Blog-Beitrag entnommen, der nach wie vor unter der Adresse:
nachlesbar ist. Sie werden erkennen, dass ich mich keineswegs für eine ministerielle Urteilsprüfung ausgesprochen habe.
Die Bemerkung zu Frau Ministerin Merk ist in meinem Blog-Beitrag mehrere Absätze entfernt von der Kritik am Urteil und lautet so:
„Die Justizministerin täte aber gut daran, die Sachbearbeitung durch die Nürnberger Staatsanwaltschaft selbst zu untersuchen bzw. einmal von unabhängiger Seite untersuchen zu lassen - das ist ihre Verantwortung.“
Hintergrund war die Reaktion von Frau Merk, die gerade am 14.11. dafür kritisiert wurde, im Rechtsausschuss den Prüfbericht der HVB nicht erwähnt zu haben, obwohl sie über den Fall eingehend Bericht erstattet hatte. Frau Merk hat sich dann zunächst so geäußert, ihr habe der Prüfbericht der HVB zu dem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen. Daraus habe ich geschlossen, dass sie nicht vollständig informiert worden war. Daher meine Empfehlung der unabhängigen Untersuchung. Dies halte ich jedenfalls dann für sinnvoll, wenn – wie ja im Rechtsausschuss geschehen – überhaupt auf der politischen Ebene zu Einzelfällen Stellung genommen wird. In der Zitatzusammenführung in der SZ klingt es nun so, als habe ich der Ministerin eine Urteilsprüfung vorgeschlagen – schon das Wort „Prüfung“ ist von meiner Seite nicht gefallen – und ich bezog mich auf die Sachbearbeitung der Staatsanwaltschaft in diesem konkreten Fall, der schon seit längerer Zeit im Landtag diskutiert wird. Ich habe, wie Sie leicht feststellen können, niemanden zum Rechtsbruch aufgefordert und natürlich auch nicht auch nur ansatzweise die richterliche Unabhängigkeit in Frage gestellt.
Meine Stellungnahme befasst sich v.a. mit dem rechtskräftigen Urteil des LG Nürnberg, das Grundlage der Unterbringung des Herrn Mollath ist. Dass der BGH die Entscheidung des LG Nürnberg bestätigt hat, steht schon seit 19.11. im Update meines Beitrags (a.a.O.). Die Revisionsentscheidung des BGH ist nicht veröffentlicht. Ob und ggf. welche Teile des Urteils vom BGH auf Rechts- und Verfahrensfehler überprüft wurden, war mir bislang nicht erkennbar, da diese Prüfung, wie Sie wissen, von den Revisionsrügen und deren Begründung abhängig ist. Ich habe nun aufgrund Ihrer Mitteilung recherchiert, wie die Entscheidung des BGH lautet. Nach dem Ergebnis dieser Recherche wurden infolge der Revisionsrügen Rechtsfehler, aber, entgegen Ihrer Darstellung, keine Verfahrensfehler geprüft (1 StR 6/07 vom 13.02.2007). Die Entscheidung erging nach § 349 Abs.2 StPO, also ohne schriftliche Begründung.
Eine Verschwörungstheorie habe ich keineswegs vertreten. In meinem Kommentar am 15.11. (a.a.O.) habe ich mich zudem deutlich zu entsprechenden Äußerungen und Vermutungen Dritter geäußert. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass man Verschwörungstheorien nur mit einer offenen und sachlichen Debatte begegnen kann.
Selbstverständlich bleibt auch die regelmäßige Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen in meinem Beitrag nicht „unerwähnt“. Es ist ja Kernpunkt meiner Kritik, dass in diesem Überprüfungsverfahren insb. das Verhältnismäßigkeitsgebot (§ 62 StGB) nicht genügend Beachtung findet.
Sie dürfen meine Antwort gern auf der Homepage veröffentlichen. Ich werde dies mit Ihrem Offenen Brief und meiner Antwort im Beck-Blog ebenfalls tun.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Prof. Dr. Henning Ernst Müller
Ergänzung am 27.11.: Ministerpräsident Horst Seehofer wird heute so zitiert: die Justiz sei aus seiner Sicht "gut beraten, den Fall noch einmal neu zu bewerten". "Ich möchte in diesem Fall, dass man sich auf die Frage konzentriert, ob alles in Ordnung ist."(Quelle). Diese Forderung geht in eine ähnliche Richtung wie ich sie vertreten habe, obwohl Herr Seehofer direkt die "Justiz" anspricht und damit möglicherweise noch eher der richterlichen Kritik ausgesetzt sein könnte, wie sie im Offenen Brief an mich gerichtet wurde.