Die Wahrheit des Strafprozesses ist nicht die des Zivilprozesses – Der Fall Kachelmann zum zweiten
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Nachdem das Landgericht Mannheim im Frühjahr vergangenen Jahres den Wettermoderator Jörg Kachelmann (sein Buch zum Prozess habe ich nicht gelesen und werde es vermutlich auch nicht lesen) nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" vom Vorwurf der Vergewaltigung in einem von großem Medieninteresse begleiteten Strafprozess freigesprochen hat, wird die Frage, ob er seine ehemalige Lebensgefährtin vergewaltigt hat, nunmehr nochmals das Landgericht Frankfurt am Main in einem zivilrechtlichen Schadensersatzprozess beschäftigen, den der Freigesprochene jetzt gegen die frühere Belastungszeugen betreibt. Sollte im nunmehrigen Zivilprozess das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Zeugin im Strafprozess vorsätzlich falsch ausgesagt hat, wird es diese antragsgemäß zu den dem früheren Angeklagten im Zuge seiner Verteidigung entstandenen Gutachterkosten verurteilen.
Wie dies sein kann, leuchtet auf den ersten Blick nicht ein. Das Landgericht Frankfurt am Main im Zivilverfahren als Superrevisionsinstanz? Keineswegs. Ob das Landgericht Frankfurt am Main der Klage stattgibt oder nicht, ändert rechtlich nichts am rechtskräftigen Freispruch vom strafrechtlichen Vorwurf der Vergewaltigung, sondern betrifft allein den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch.
Die Erklärung dafür, dass das Landgericht Frankfurt am Main zu einem gegensätzlichen Ergebnis hinsichtlich der Glaubwürdigkeit kommen kann, liegt in den unterschiedlichen Wahrheitsbegriffen des Straf- und Zivilprozesses. Der Wahrheitsbegriff des Strafprozesses ist nicht mit dem des Zivilprozesses identisch. Im Strafprozess gilt auf der Grundlage der das Gericht treffenden Aufklärungspflicht der materielle Wahrheitsbegriff, währenddessen im Zivilprozess der vom Dispositions-und Verhandlungsgrundsatz beherrschte formelle Wahrheitsbegriff verwirklicht wird.
Welche der beiden Wahrheitsbegriffe der verlässlichere ist, darüber lässt sich trefflich streiten, wie der Beitrag von Prof. Christian Wolf und Wiss. Mit. Hanna Schmitz in der aktuellen Legal Tribune ONLINE zeigt, die dem formellen Wahrheitsbegriff den Vorzug geben wollen.