Bei Besitzerlangung erlaubt, erst später verboten – strafbar oder nicht?
Gespeichert von Dr. Jörn Patzak am
Mit einer interessanten Rechtsfrage hatte sich das OLG Stuttgart zu befassen (Beschl. v. 18.06.2012, 2 Ss 154/12 = BeckRS 2012, 15539): Wie ist es zu beurteilen, wenn eine Substanz bei Besitzerlangung nicht unter des BtMG fällt, nach einer späteren Gesetzesänderung dann aber schon?
Konkret ging es um einen Chemiker, der im Jahr 1973 10 Gramm Cathin und 100 Gramm Nitrazepam gekauft hatte, als beide Substanzen noch nicht dem BtMG unterfielen. Das änderte sich jedoch in den Jahren 1986 und 1991 mit Einstufung von Cathin und Nitrazepam als Betäubungsmittel. Dennoch behielt der Chemiker die Substanzen, die schließlich am 2.4.2011 bei einer polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung aus anderem Grund aufgefunden und sichergestellt wurden.
Nach Auffassung des OLG Stuttgart macht sich der Chemiker nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln strafbar, da es darauf ankomme, ob zum Zeitpunkt des Besitzes eine Erlaubnis vorliege.
Soweit ist die Entscheidung nicht wirklich überraschend. Bemerkenswert ist dann aber die vom OLG Stuttgart getroffene Unterscheidung zwischen dem Vergehenstatbestand des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG und dem Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Letzteren hat es nämlich mit Blick auf den unterschiedlichen Wortlaut der Vorschriften mit folgender Begründung verneint:
„Die Nennung der Vorschrift des § 3 Abs. 1 BtMG im Straftatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG stellt eine Rechtsgrundverweisung dar. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BtMG müssen deshalb ebenfalls vorliegen. Zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte die Stoffe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG erwerben wollte, waren sie aber keine Betäubungsmittel, weil sie in den Anlagen zum BtMG nicht aufgeführt waren, so dass § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nicht erfüllt ist. Es liegt auch kein Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Herstellen ausgenommener Zubereitungen) vor. Somit hat sich der Angeklagte nicht wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht. Das Auslegungsergebnis steht im Einklang mit der Überlegung, dass es überzogen erscheint, die Tat desjenigen, der Stoffe auch nach ihrer Aufnahme ins Betäubungsmittelgesetz in nicht geringer Menge in seinem Besitz behält, als Verbrechen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr oder im minder schweren Fall von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zu ahnden.
[…]
Nach den Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte jedoch eines Vergehens des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs.1 S. 1 Nr. 3 BtMG schuldig. Nach der Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein. Im Gegensatz zu § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verweist die Vorschrift nicht auf § 3 Abs. 1 BtMG. Vielmehr stellt sie mit dem Wort „zugleich“ klar, dass die schriftliche Erlaubnis für den Erwerb zum Zeitpunkt des Besitzes der Betäubungsmittel vorliegen muss. Damit folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass es nicht darauf ankommt, ob der Stoff bereits zum Zeitpunkt seines willentlichen Erwerbs durch den Angeklagten ein Betäubungsmittel war.“
Die Entscheidung stößt in der Literatur auf ein geteiltes Echo. Karl-Rudolf Winkler, LOStA a.D., tritt der Unterscheidung zwischen § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG und § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in einer Anmerkung in A&R 2012, 231 entgegen und begründet dies damit, dass die unterschiedliche Interpretation des abweichenden Gesetzestextes in den beiden Vorschriften weder vom Wortlaut des Gesetzes noch von dessen Sinn und Zweck geboten sei. Mustafa Oğlakcıoğlu dagegen hält die Entscheidung in einer Anmerkung, die in Kürze in der Onlinezeitschrift für Suchtstoff-Recht (www.ozsr.de) erscheinen wird, für sachgerecht.