Zur Strafbarkeit der Veröffentlichung von Dokumenten aus Strafverfahren (z.B. Fall Mollath) nach § 353d Nr.3 StGB
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Schon mehrfach bestand hier im Blog Anlass, über den Straftatbestand § 353d Nr.3 StGB zu diskutieren.
Siehe hier (Fall Kachelmann) und hier (Fall Klatten). Die Norm stellt unter Strafe, wörtlich die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens vor deren Erörterung in öffentlicher Verhandlung bzw. vor Abschluss des Verfahrens zu veröffentlichen.
RA Strate, einer der Verteidiger Herrn Mollaths, hatte während der Bemühungen, die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen seinen Mandanten zu erreichen, etliche Dokumente aus dem Verfahren ungeschwärzt auf seiner Website publiziert.
Die Staatsanwaltschaft hatte deshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und beim AG Hamburg beantragt, die Dokumente aus dem Netz zu entfernen bzw. dies Herrn Strate oder seinem Internetprovider aufzugeben. Das AG Hamburg hatte mit Beschluss vom 27.06.2013 dieses Ansinnen zurückgewiesen. Ausschlaggebend für die Zurückweisung war u.a., dass die Dokumente nicht aus laufenden Strafverfahren im Sinne des Gesetzes stammten
- die veröffentlichte Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft schließe ein Verfahren ab bzw. setze es gar nicht in Gang
- Dokumente aus dem Vollstreckungsverfahren seien von § 353d Nr.3 StGB nicht erfasst
- Dokumente aus dem Verfahren, mit dem die Wiederaufnahme begehrt werde, beträfen ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren.
Diese Sicht wird nun vom LG Hamburg (Beschluss vom 2.9.2013) großteils bestätigt. Allerdings ist im dritten der oben genannten Punkte nunmehr eine Änderung eingetreten, da mit der Entscheidung des OLG Nürnberg die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Gustl Mollath angeordnet wurde. Das LG Hamburg nimmt (obiter dictum) zu diesem Umstand so Stellung:
„Das Bereithalten des Wiederaufnahmeantrags der Staatsanwaltschaft Regensburg zum Abruf im Internet könnte hingegen strafbar sein. Denn jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfängt angesichts der vom OLG Nürnberg angeordneten Wiederaufnahme des Verfahrens der Einwand nicht mehr, dass vor Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens durch eine Wiederaufnahmeanordnung (§ 370 Abs. 2 StPO) ein Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen, mithin (noch) kein neues in Gang gesetzt sei. Insoweit steht auch die Frage im Raum, auf welchen Zeitpunkt sich die Strafbarkeit nach § 353d StGB bezieht: Auf den Zeitpunkt der erstmaligen Verbreitung, oder auf den der letztmaligen? Ist § 353d StGB Handlungs-, Zustands-, Unterlassens-, Dauerdelikt? Der historische Gesetzgeber hatte die vorliegende Fallgestaltung mit Sicherheit nicht im Blick, und auch wenn das BVerfG die Norm im Jahr 1985 als verfassungsgemäß eingestuft hat (BVerfG NJW 1986, 1239 ff.), dürfte es angesichts der neuen technischen Möglichkeiten der "öffentlichen Mitteilung" von Gerichtsdokumenten über das Internet um die Bestimmtheit der Vorschrift schlechter denn je stehen. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Juni 2013 veranlasst die Kammer lediglich zu der Anmerkung, dass der Begriff des "Strafverfahrens" in § 353d Nr. 3 StGB nach hiesigem Verständnis weiter zu verstehen ist als die "Verhandlung vor Gericht". Dies entspricht, so- weit ersichtlich, auch der gesamten Kommentarliteratur (…). Bereits der historische Gesetzgeber wollte die zeitliche Dauer des Mitteilungsverbots, welche bis zur Einführung des § 353d StGB durch die Reichspressegesetze geregelt wurde, unverändert belassen (vgl. BT-Drs. 7/550 S. 284). Die damalige Rechtsprechung vertrat eine weite Auslegung des Begriffs "Strafprozeß". Es reichte bereits die Anhängigkeit eines Verfahrens bei einer Strafbehörde, wenn es sich wegen bestimmter Straftaten gegen bestimmte Personen richtete (vgl. RGSt 22, 273). Auch die Legaldefinition eines "eingeleiteten Strafverfahrens" in § 397 Abs. 1 AO hat ein weites Verständnis des Begriffes. Es liegt danach vor, "sobald die ... Staatsanwaltschaft ... oder der Strafrichter eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer (Steuer)Straftat strafrechtlich vorzugehen." Die eher weite Auffassung wird schließlich auch durch Sinn und Zweck der Norm gedeckt. Die Unbefangenheit von Schöffen und Zeugen kann bereits weit vor der Eröffnung der gerichtlichen Hauptverhandlung beeinträchtigt werden. Dies gilt besonders in Fällen, die Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung sind. Darüber hinaus werden die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen so bestmöglich geschützt.“
Anzumerken ist, dass ich selbst keineswegs der Ansicht bin, strafrechtliche Ermittlungsverfahren gehörten an die Öffentlichkeit. Im Gegenteil bin ich der Auffassung, dass die Öffentlichkeitsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften in vielen Fällen schon zu weit geht und geeignet ist, Vorverurteilungen und Befangenheiten zu erzeugen (siehe hier).
Dies gilt aber unabhängig von der Veröffentlichung von Dokumenten im Wortlaut, was allein in § 353d Nr.3 StGB erfasst ist. Die Norm erscheint mir in ihrer konkreten Gestaltung falsch und – da sie praktisch meist dazu dient, Veröffentlichungen durch Verfahrensbetroffene (und ggf ihre Anwälte) zu kriminalisieren – auch rechtstatsächlich verfehlt.
Die Bundesjustizministerin hat sogar die ersatzlose Streichung des § 353d Nr.3 StGB gefordert (ZRP 2007, 249, 251):
„Ebenso wie die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren ist auch die Möglichkeit der ungehinderten Prozessberichterstattung rechtsstaatlich geboten. Allerdings kann schon um des Schutzes der allgemeinen Persönlichkeitsrechte willen von Journalisten grundsätzlich verlangt werden, dass gerade ihre Gerichtsberichterstattung das tatsächliche Geschehen vor Gericht möglichst neutral, authentisch und unverfälscht wiedergibt. Dieser Forderung steht die Strafvorschrift des geltenden § 353d StGB insofern entgegen, als mit ihr die korrekte Berichterstattung kriminalisiert wird. Die wörtliche Wiedergabe von Texten aus den Gerichtsakten ist strafbar. Um der Strafe zu entgehen, ist der Journalist gezwungen, den zu berichtenden Sachverhalt abweichend vom authentischen Text zugänglicher Dokumente in eigenen Worten darzustellen. Es ist höchst fraglich, ob das Ziel des Gesetzgebers, durch das Verbot von Veröffentlichungen „im Wortlaut” die Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten zu schützen, von dieser Regelung überhaupt im nennenswerten Umfang erreicht wird. Das BVerfG [NJW 1986, 1240] ist der Auffassung, dass § 353d Nr. 3 StGB den Schutz der vom Strafverfahren Betroffenen nur in sehr begrenztem Umfang gewährleistet. Der Erfolg, der sich mit der Vorschrift erreichen lasse, sei gering. (…)
Der hier skizzierte FDP-Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit war zusammen mit dem von Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten, zwischenzeitlich aber vom Deutschen Bundestag abgelehnten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (vgl. Fußnote 2) Gegenstand der am 25. 10. 2006 vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages durchgeführten öffentlichen Sachverständigen-Anhörung. Die vom FDP-Entwurf vorgeschlagene Streichung des § 353d StGB (siehe Abschnitt IV) ist von den Sachverständigen mehrheitlich begrüßt worden.“
Unabhängig von der – wohl zu begrüßenden – Streichung des § 353d Nr.3 StGB zeigt sich im Fall Mollath, welche Fragen der Tatbestand offen gelassen hat: Erfasst der Tatbestand auch Dokumente, die schon VOR einem Strafverfahren (im Fall von Wideraufnahmeverfahren Dokumente aus dem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren und Wiederaufnahmeanträge) errichtet und publiziert wurden? Diese Frage wird etwa zu beantworten sein, wenn die Staatsanwaltschaft Herrn Strate nunmehr anklagen sollte, weil er einige der Dokumente nicht wieder von seiner Webseite entfernt hat, nachdem die Wiederaufnahme angeordnet wurde. Man wird hier auch mit dem Faktum argumentieren können, dass die Dokumente, die schon längere Zeit heruntergeladen werden konnten, ohnehin nicht mehr „rückholbar“ sind.