Das GroKo-Strafrecht unter der Lupe
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der Koalitionsvertrag wurde letzte Nacht abschließend verhandelt. Neben den allseits schon bekannten „Knackpunkten“ (Maut etc.) befinden sich darin auch einige weniger bekannte Pläne zum Strafrecht, die ich hier einmal zur Diskussion stellen möchte. Die Zitate stammen aus dem heute verbreiteten Entwurf , ab S. 144. die Überschriften stammen von mir, ebenso die kurzen Anmerkungen.
Zum Fahrverbot als Hauptstrafe wird schon hier diskutiert.
1. Strafzumessung bei fremdenfeindlichen Gewalttaten
„Bei Polizei und Justiz stärken wir die interkulturelle Kompetenz und steigern die personelle Vielfalt. Die Möglichkeiten für Opferbetreuung und -beratung stärken wir. Weil Opfer rassistischer, fremdenfeindlicher oder sonstiger menschenverachtender Straftaten den besonderen Schutz des Staates verdienen, wollen wir sicherstellen, dass entsprechende Tatmotive bei der konkreten Strafzumessung ausdrücklich berücksichtigt werden.“
Während das erste Anliegen natürlich zu begrüßen ist, steht hinter dem zweiten Vorschlag die allerdings empirisch kaum belegbare Idee, dass eine höhere Strafdrohung bzw. ein praktisch schärfere Strafzumessung potentielle Opfer vor der Begehung rassistischer / fremdenfeindlicher Taten „schützen“ kann. Strafrechtstechnisch könnte man an einen besonders schweren Fall für die §§ 223, 224 StGB denken, ausgestaltet mit dem Regelbeispiel „fremdenfeindliches Motiv“ oder weiter gefasst (analog dem Mordmerkmal) „aus niedrigen Beweggründe“. Ein straferhöhendes Motiv ist allerdings – außerhalb des § 211 StGB - bislang dem StGB eher fremd.
2. Unternehmensstrafrecht und Vermögensabschöpfung
„Mit Blick auf strafbares Verhalten im Unternehmensbereich bauen wir das Ordnungswidrigkeitenrecht aus. Wir brauchen konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensbußen. Wir prüfen ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne. Das Recht der Vermögensabschöpfung werden wir vereinfachen, die vorläufige Sicherstellung von Vermögenswerten erleichtern und eine nachträgliche Vermögensabschöpfung ermöglichen. Wir regeln, dass bei Vermögen unklarer Herkunft verfassungskonform eine Beweislastumkehr gilt, so dass der legale Erwerb der Vermögenswerte nachgewiesen werden muss."
Die Einführung unternehmensstrafrechtlicher Elemente ist seit Langem in der Diskussion, die Vermögensstrafe war in § 43a StGB geregelt, wurde dann aber 2002 vom BVerfG für nichtig erklärt. Nun soll also ein neuer Versuch unternommen werden, mit rechtsstaatlichen Mitteln Gewinne aus strafbarem Verhalten abzuschöpfen.
3. Korruption im Gesundheitswesen
"Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen wollen wir unter Strafe stellen."
Hier geht es um die auch hier im Beck-Blog schon debattierte Frage der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Nach dem bisherigen Wortlaut des § 299 StGB passt dieser Tatbestand nicht auf einschlägige Verhaltensweisen im Gesundheitssystem. Eine entsprechende Änderung ist zu begrüßen.
4. Kinderpornographie im Internet
"Zur besseren Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet werden wir im Strafrecht den veralteten Schriftenbegriff zu einem modernen Medienbegriff erweitern."
An einem „veralteten Schriftenbegriff“ (Datenspeicher sind seit 1997 den Schriften gleichgesetzt, siehe § 11 Abs.3 StGB) scheitert m.E. bisher die Bekämpfung der Kinderpornographie nicht. Gemeint ist wohl, dass man nicht nur Datenspeicher, sondern auch "Dateien" in § 11 Abs.3 StGB nennen will, um einen Meinungsstreit, der sich insbesondere am Besitz von (nur) im flüchtigen Arbeitsspeicher vorhandenen Bildern entzündet hat, gesetzlich zu entscheiden.
5. Sexualstrafrecht und Massengentest
"Wir schließen zudem inakzeptable Schutzlücken und beseitigen Wertungswidersprüche im Sexualstrafrecht. Zur Aufklärung von Sexual- und Gewaltverbrechen sollen bei Massen-Gentests auch sogenannte Beinahetreffer verwertet werden können, wenn die Teilnehmer vorab über die Verwertbarkeit zulasten von Verwandten belehrt worden sind."
Welche Wertungswidersprüche gemeint sind, bleibt hier offen, aber solche zu beseitigen ist ja erst einmal nicht falsch - politisch umstritten wird es dann sein, in welche Richtung die Widerspürche aufgelöst werden.
Beim Massengentest soll eine vermeintliche oder echte „Gesetzeslücke“ geschlossen werden, die der 3. Senat des BGH aufgedeckt hat: Beinahetreffer mit Hinweisen auf die Täterschaft Verwandter des Freiwilligen, sind bisher nicht verwertbar (siehe hier). Eine entsprechende Belehrung würde dies ändern, allerdings möglicherweise auch die Teilnahmebereitschaft beeinflussen.
6. Nachträgliche Sicherungsverw..., äh: Therapieunterbringung
"Zum Schutz der Bevölkerung vor höchstgefährlichen, psychisch gestörten Gewalt- und Sexualstraftätern, deren besondere Gefährlichkeit sich erst während der Strafhaft herausstellt, schaffen wir die Möglichkeit der nachträglichen Therapieunterbringung. Die längerfristige Observation von entlassenen Sicherungsverwahrten stellen wir auf eine gesetzliche Grundlage."
Das ist tatsächlich die Neuauflage der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Überraschend kommt dies nicht. Es soll wohl nach Einführung der Therapieunterbringung samt Bau neuer Anstalten bzw. Ausbau entspr. Abteilungen, auch die alte Rechtslage wiederhergestellt werden, die ja die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (auch bei Jugendlichen/Heranwachsenden) ermöglichte. Bei einem sich vom Strafvollzug deutlich abhebenden Vollzug (unter neuem Namen) sollen nach Vorstellung der GroKo die Einwände des EGMR, es handele sich dann um eine rückwirkende Strafverlängerung ohne Grundlage im Urteil, nicht mehr zutreffen. Gegen eine nachträgliche Anordnung sprechen aber nach wie vor die besseren Argumente.
7. Stalking
"Beim Stalking stehen vielen Strafanzeigen auffällig wenige Verurteilungen gegenüber. Im Interesse der Opfer werden wir daher die tatbestandlichen Hürden für eine Verurteilung senken. Zudem werden wir Maßnahmen zur Kontrolle der Einhaltung von Kontakt- bzw. Näherungsverboten erarbeiten."
Dieser Vereinbarung scheint mir eine fragwürdige kriminologische These zugrunde zu liegen, nämlich die, dass es für die Opfer unbefriedigend oder gar schädlich sei, wenn ihre Strafanzeigen nicht zu einer Verurteilung führen. Tatsächlich ist es aber anerkanntermaßen so, dass die Einführung des § 238 StGB polizeiliches und staatsanwaltliches Tätigwerden ermöglicht hat, welches in vielen Fällen auch dazu führt, dass der Stalker/die Stalkerin mit seinem/ihrem Verhalten aufhört. Das ist meist das Hauptinteresse der Opfer von Stalking. Der Umbau des Straftatbestands zu einem Gefährdungsdelikt würde möglicherweise sogar nach hinten losgehen.
8. Jugendstrafrecht
"Durch ein frühzeitiges gemeinsames Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden und der Kinder- und Jugendhilfe wollen wir kriminalitätsgefährdete Kinder und Jugendliche vor einem Abgleiten in kriminelle Karrieren bewahren. Wird ein junger Mensch straffällig, soll die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen. Den Gedanken der Wiedergutmachung gegenüber Kriminalitätsopfern werden wir im Jugendstrafrecht stärken."
Das sind wenig konkrete absichtserklärungen, die in jeder Koalitionsvereinbarung stehen könnten. Wenn damit aber eine Tendenz zur (abermaligen) Verschärfung des Jugendstrafrechts angedeutet wird, ist dem entgegenzutreten. Und wer unter Beachtung des Rechtsstaats „beschleunigen“ will, der muss in der Justiz Stellen schaffen, und das kostet Geld.
9. Unterbringung nach § 63 StGB und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
"Wir reformieren das Recht der strafrechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, indem wir insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker zur Wirkung verhelfen. Hierzu setzen wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein."
Hier findet sich also der Fall Mollath wieder. Eine Reform scheint dringend notwendig. Aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird bereits jetzt direkt VOR § 63 StGB gesetzlich betont. Eine weitere Konkretisierung (Fristenregelung, siehe hier) ist sicherlich zu begrüßen. Aber als einzige Reaktion auf Fälle wie „Mollath“ ist das zu wenig!
10. Adhäsionsverfahren
"Um die Opfer von Straftaten dabei zu unterstützen, ihre zivilrechtlichen Ersatzansprüche gegen den Täter durchzusetzen, fördern wir die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in Strafverfahren (Adhäsionsverfahren) und erleichtern es den Opfern, sich im Zivilprozess auf bindende Feststellungen eines Strafgerichts zu berufen."
Das angesprochene Adhäsionsverfahren ist längst gesetzlich verankert. Aber es will trotz intensiver gesetzlicher Bemühungen (z.B. Hinweispflichten) einfach nicht gelingen, die Strafgerichte davon zu überzeugen, nun auch regelmäßig zivilrechtliche Fragen zu klären. Auch die Rechtsanwälte spielen nicht richtig mit. Das Anliegen des Gesetzgebers, hier noch einmal betont, ist ehrenwert, aber offenbar nicht praxistauglich. Was in der Theorie sinnvoll klingt, ist es nicht immer in der Praxis. Ich denke, Strafrichter wollen weder ihre Akten noch ihre Verhandlungen mit zivilrechtlichen Fragen belasten (etwa zur Höhe des Schadens), was potentiell ja auch eine schnelle(re) Entscheidung hindert. Die Bezugnahme auf Feststellungen eines Strafgerichts mag auch gut klingen - jedoch kann auch hierdurch die (effektive) Verfahrensweise durch Strafbefehl gestört werden.