Nötigung durch anwaltliches Mahnschreiben
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Kein Schuldner und erst recht nicht jemand, der die Forderung bestreitet oder bei dem sogar gewiss ist, dass sie nicht besteht, möchte ein anwaltliches Mahnschreiben erhalten, mit dem eine Zahlungsfrist gesetzt und zugleich für den Fall der Säumnis mit Anzeige wegen Betrugs gedroht wird.
Häufig drohen anwaltliche Mahnschreiben für den Fall nicht fristgerechter Zahlung gerade auch eine Strafanzeige wegen Betrugs an, sogar selbst dann, wenn eine betrügerisch erlangte gar nicht bestehende Forderung geltend gemacht wird – und damit lässt sich viel Geld verdienen. Dies bestätigt der Beschluss des BGH vom 5.9.2013 Az 1 StR 162/13. Diese höchstrichterliche Entscheidung ist deshalb für die Praxis von großer Bedeutung, weil künftighin mahnende Anwälte vorsichtiger formulieren werden. Denn es droht eine Verurteilung wegen vollendeter Nötigung, wenn die Forderung nicht besteht, aber auch wegen versuchter Nötigung, wenn der Anwalt nicht weiß, dass die Forderung nicht berechtigt oder ihm dies gleichgültig ist.
Was war geschehen?
Der vom Landgericht wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilte Anwalt mahnte die Kunden sog. Gewinnspieleintragungsdienste an. Den Kunden war über Callcenter angeboten worden, sie gegen einen Teilnehmerbeitrag in Gewinnspiele einzutragen; hierbei erteilten die Kunden auch die Ermächtigung zum Lastschrifteinzug. Der Eintrag erfolgte jedoch nicht. Nachdem es beim Einzug der Teilnehmerbeiträge mittels Lastschrifteinzug immer häufiger zu Rücklastschriften kam, entschloss sich der Verantwortliche des Gewinnspieleintragungsdiensts, die Kunden mittels eines "Inkassoanwalts" zu mahnen, umso auf sie Druck auszuüben und dadurch zur Zahlung der unberechtigten Forderungen zu veranlassen. Hierfür konnte er den angeklagten Anwalt gewinnen und beauftragte ihn mit dem Erstellen mehrerer Entwürfe. Antwortschreiben der Kunden sollte der Angeklagte beantworten, soweit sich diese beschwerten, „kündigten" oder Strafanzeige erstatteten, sollte er ohne weitere Rücksprache diesen etwa bereits früher geleistete Zahlungen zurückerstatten. Kunden, die nicht zahlten, sollten keinesfalls verklagt oder angezeigt werden.
Dass der Angeklagte beim späteren Versand der ca. 43.000 Mahnschreiben Kenntnis von der fehlenden Eintragung der Kunden in die Gewinnspiele hatte, konnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls gingen auf die unberechtigte Mahnungen mehr als eine dreiviertel Million € ein und der Anwalt kassierte davon knapp 140.000 €.
Zur Rechtslage aus der Sicht des BGH
Der BGH verwarf die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.
Durch die Ankündigung in den Mahnschreiben, bei nicht fristgerechter Zahlung behalte sich die Mandantin vor, „den Sachverhalt der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Überprüfung wegen des Verdachts eines Betruges vorzulegen", habe der Angeklagte mit einem empfindlichen Übel gedroht.
Diese Drohung mit einer möglichen Strafanzeige sei auch verwerflich i.S. des § 240 Abs. 2 StGB. Der Anwalt habe es seinem Mandanten ermöglicht, "seine Berufsbezeichnung als Anwalt einzusetzen, um dadurch generell die Position der Adressaten als faktisch aussichtslos erscheinen zu lassen." Auf diese Weise sollten "juristische Laien durch die Autorität eines Organs der Rechtspflege zur Hinnahme der nur scheinbar vom Angeklagten stammenden Wertungen veranlasst werden."
Weil nicht festgestellt werden konnte, dass die angeschriebenen Kunden wegen der Drohung mit Strafanzeige bezahlt hätten, möglicherweise hätten sie schon deshalb bezahlt, weil sie ein anwaltliches Mahnschreiben erhielten, liege keine vollendete, sondern nur eine versuchte Nötigung vor.
Bewertung
Nicht nur all diejenigen, die von Redtube Post erhielten oder in eine „Abofalle“ getappt sind und anschließend sich mit Zahlungen unter Zuhilfenahme einer Drohkulisse konfrontiert sehen, werden diese Entscheidung begrüßen.
Dagegen hält aus anwaltlicher Sicht Rechtsanwalt Martin W. Huff, Geschäftsführer der Anwaltskammer Köln, im NJW-Editorial Heft 4/2014 die Entscheidung deshalb für "sehr bedenklich", weil sie der Anwaltschaft zu viel zumute. Die „Drohung (wenn es überhaupt eine war) mit – im direkten Zusammenhang mit der Forderung stehenden – strafrechtliche Maßnahmen ist nicht verwerflich.“ Er hoffe, dass „Staatsanwälte vernünftig mit dieser Entscheidung umgehen und es nicht zu einer Flut von Strafverfahren gegen Rechtsanwälte kommt." – Dazu von meiner Seite nur soviel: Auch bei einer berechtigten Forderung kann die Drohung im Einzelfall durchaus die Verwerflichkeitsschwelle nehmen. Deshalb ist künftighin zu raten, sich die gewählte Formulierung genau zu überlegen!