Wie objektiv, unabhängig und neutral sind medizinische, psychologische und psychiatrische Gerichtsgutachter?
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Diese Frage beantworten Benedikt Jordan und Prof. Dr. med. Ursula Gresser im Ärzteblatt 2014, 111(6): A-120 mit der Überschrift "Gerichtsgutachten: Oft wird die Tendenz vorgegeben.“
In diesem Beitrag veröffentlichen die beiden Autoren erste Ergebnisse einer Studie, die die Neutralität fast jedes vierten medizinischen, psychologischen oder psychiatrischen Gutachtens infrage stellt! Hierüber wird zwar seit einiger Zeit schon vereinzelt diskutiert. Jedoch ging es bislang um Einzelfälle, bei denen die Diskussion schnell beendet werden konnte, aber nicht um eine breiter angelegte Untersuchung.
Der Fall Mollath löste eine kritische Auseinandersetzung mit der Begutachtungspraxis aus. Um dafür eine wissenschaftliche Grundlage zu schaffen, wurde im November 2013 eine Studie zur "Begutachtungsmedizin in Deutschland am Beispiel Bayern" im Rahmen der Dissertation von Benedikt Jordan an der Ludwig-Maximilian-Universität München durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung stellen die beiden Autoren erstmals im Ärzteblatt vor:
- Nahezu jeder vierte Sachverständige gab an, bei einem vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten "in Einzelfällen" eine Tendenz signalisiert bekommen zu haben.
- Mehr als 50 % ihrer Einnahmen erzielen 53 von den 235Gutachtern, die an der Befragung teilgenommen haben. Bei rund einem Fünftel der Gutachter könnte also allein schon aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Neutralität gefährdet sein.
Wenn Richtern die medizinische, psychologische oder psychiatrische Sachkunde fehlt, sind sie gezwungen, einen Gutachter beauftragen, dessen Ergebnisse sie sich mangels eigener Sachkunde überwiegend anschließen – wenn das Gericht dabei aber die Tendenz vorgibt und vielleicht sogar noch eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Sachverständigen von Gutachteraufträgen besteht, dann stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer fatalen Entwicklung.
Unter dem Titel „Die Befangenen“ auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung vom 7.2.2014 hat bereits die Journalistin Annette Ramelsberger das Thema aufgegriffen und berichtet von einem der wissenschaftlich renommiertesten deutschen Psychiater, der deshalb nicht mehr beauftragt wird, weil er dem Münchner Schwurgericht zu häufig Gutachten vorlegte, in denen er statt zu Haft zur Psychiatrie riet.
Die Studie löst hoffentlich eine breite Diskussion zwischen Juristen und Gutachtern darüber aus, wie künftighin die Neutralität der Gutachter gewahrt bleiben kann.