Verfassungsbeschwerde in Sachen „Flashmob“ vor dem BVerfG erfolglos
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Lange hatte man nichts mehr von der gegen die sog. Flashmob-Entscheidung des BAG eingelegten Verfassungsbeschwerde gehört (hierzu Blog-Beitrag vom 29.12.2009). Nicht wenige hatten sich hier Hoffnungen gemacht, die kontrovers diskutierte Entscheidung werde vom BVerfG noch nachträglich korrigiert. Das BAG hatte bekanntlich am 29.9.2009 (NZA 2009, 1347) entschieden, dass eine streikbegleitende Aktion, mit der eine Gewerkschaft in einem öffentlich zugänglichen Betrieb kurzfristig und überraschend eine Störung betrieblicher Abläufe hervorrufen will, um zur Durchsetzung tariflicher Ziele Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben, nicht generell unzulässig sei. Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 26. März 2014 - 1 BvR 3185/09). Der Pressemitteilung lässt sich folgende Begründung entnehmen:
„1. Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verletzen nicht die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit des Beschwerdeführers.
a) Der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht auf Streik und Aussperrung als die traditionell anerkannten Formen des Arbeitskampfs beschränkt. Die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung ihrer koalitionsspezifischen Zwecke für geeignet halten, überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich ihnen selbst. Das Grundgesetz schreibt nicht vor, wie die gegensätzlichen Grundrechtspositionen im Einzelnen abzugrenzen sind; es verlangt keine Optimierung der Kampfbedingungen. Umstrittene Arbeitskampfmaßnahmen werden unter dem Gesichtspunkt der Proportionalität überprüft; durch den Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen soll kein einseitiges Übergewicht bei Tarifverhandlungen entstehen. Die Orientierung des Bundesarbeitsgerichts am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insofern nicht zu beanstanden.
b) Danach lässt sich eine Verletzung des Beschwerdeführers in seiner Koalitionsfreiheit durch die angegriffenen Urteile nicht feststellen. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt insbesondere, dass sich durch die Teilnahme Dritter an Flashmob-Aktionen die Gefahr erhöhen kann, dass diese außer Kontrolle geraten, weil Dritte weniger beeinflussbar sind. Es setzt der - im Ausgangsverfahren auch tatsächlich eingeschränkten - Teilnahme Dritter daher auch rechtliche Grenzen. So muss der Flashmob als gewerkschaftlich getragene Arbeitskampfmaßnahme erkennbar sein, was auch für Schadensersatzforderungen der Arbeitgeber bei rechtswidrigen Aktionen von Bedeutung ist. Das Bundesarbeitsgericht hat sich auch mit der Frage nach wirksamen Gegenmaßnahmen der Arbeitgeberseite gegen einen streikbegleitenden Flashmob intensiv auseinandergesetzt. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, eine eigene Einschätzung zur praktischen Wirksamkeit von Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen, solange diese nicht einer deutlichen Fehleinschätzung folgen. Eine solche ist hier nicht erkennbar. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt insbesondere auch die Interessen der Arbeitgeberseite. Gegen die fachgerichtliche Einschätzung, das Hausrecht und die vorübergehende Betriebsstilllegung seien als wirksame Verteidigungsmittel anzusehen, ist verfassungsrechtlich daher nichts zu erinnern.
2. Der Beschwerdeführer kann zudem nicht mit Erfolg geltend machen, er sei in seinen Grundrechten aus Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG verletzt, weil die angegriffenen Urteile die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung missachteten. Die Gerichte sind aufgrund des Justizgewährleistungsanspruchs verpflichtet, wirkungsvollen Rechtsschutz zu bieten. Sie müssen bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den bestehenden Rechtsgrundlagen ableiten, was im Einzelfall gilt. Entschieden die Gerichte für Arbeitssachen arbeitskampfrechtliche Streitigkeiten mit Hinweis auf fehlende gesetzliche Regelungen nicht, verhielten sie sich ihrerseits verfassungswidrig.
Es unterliegt von Verfassungs wegen auch keinen Bedenken, dass das Bundesarbeitsgericht die Flashmob-Aktionen auf der Grundlage geltenden Rechts nach Maßgabe näherer Ableitungen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht als generell unzulässig beurteilt.“
Auch wenn Einzelheiten der Bewertung von Flashmob-Aktionen noch klärungsbedürftig sein sollten – für die Praxis ist damit klar, dass Flashmob-Aktionen künftig den Gewerkschaften zu Gebote stehen. Allerdings hat man den Eindruck, dass solche Aktionen in den letzten Jahren doch eher Seltenheitswert hatten und nicht im Begriff sind, sich als gebräuchliches Arbeitskampfmittel durchzusetzen. Bedauerlich ist, dass das BVerfG in dieser durch sehr grundsätzlichen Angelegenheit keine Veranlassung sah, eine Senatsentscheidung herbeizuführen. Auch wird die Begründung der Kammerentscheidung nicht jedermann überzeugen. Die praktische Unwirksamkeit von Gegenmaßnahmen der Arbeitgeberseite liegt jedenfalls auf der Hand. Indem das BVerfG die gegenteilige Einschätzung des BAG nicht hinterfragt, engt es doch die verfassungsgerichtliche Überprüfungskompetenz bedenklich weit ein. Auch hätte der Fall Gelegenheit geboten, die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung zu beleuchten. Eine Senatsentscheidung hätte der Flashmob-Fall daher schon verdient gehabt.