LAG Hamm: Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer durch Arbeitszeitermäßigung für Ältere?
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Unter den Benachteiligungsverboten des AGG wirft dasjenige wegen des "Alters" vermutlich die meisten praktischen Schwierigkeiten auf. Bis zum Inkrafttreten des AGG war es in Deutschland selbstverständlich, dass im Arbeitsleben in vielerlei Hinsicht an das Lebensalter angeknüpft wurde, von Höchstaltersgrenzen für die Einstellung über altersgestaffelte Lohntabellen und Urlaubsansprüche bis hin zur Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen und Altersgrenzen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Vieles davon steht jetzt auf dem Prüfstand. Einiges hält, anderes nicht.
Eine interessante Entscheidung kommt jetzt vom LAG Hamm (Urt. vom 30.1.2014 - 8 Sa 942/13; über nrwe.de auch hier verfügbar):
Die Arbeitnehmerin ist als Verwaltungsangestellte bei der beklagten Gewerkschaft in Teilzeit (28,5 Wochenstunden) beschäftigt. Die Arbeitgeberin hat mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Allgemeinen Arbeitsbedingungen (AAB) abgeschlossen. Nach deren Inhalt wurde die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden/Woche für Arbeitnehmer ab dem 40. Lebensjahr auf 36,5 Stunden und ab dem 50. Lebensjahr auf 35 Stunden reduziert. Auf Teilzeitbeschäftigte findet die Reduzierung zeitanteilig Anwendung. Was als positive Maßnahme zugunsten älterer Arbeitnehmer gemeint war, empfand die erst im Verlaufe des Rechtsstreits 50 Jahre alt gewordene Klägerin als Diskriminierung wegen ihres (jüngeren) Lebensalters. Ihre Klage hatte Erfolg:
1. Sieht eine Betriebsvereinbarung die Ermäßigung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Std./Woche ab dem 40. Lebensjahr auf 36,5 Std./Woche und ab dem 50. Lebensjahr auf 35 Std./Woche vor, so kann die hierin begründete Differenzierung nach dem Lebensalter nicht als durch das gesteigerte Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer gerechtfertigt angesehen werden, wenn die Altersermäßigung (anteilig) auch auf Teilzeitbeschäftigte Anwendung findet. Das Motiv der Gleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten vermag hieran nichts zu ändern.
2. Die Unwirksamkeit der Regelung hat eine "Anpassung nach oben" in der Weise zur Folge, dass die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Std./Wo bereits vor Vollendung des 50. Lebensjahres beansprucht werden kann.
3. Hat der Arbeitnehmer danach wöchentlich mehr Stunden gearbeitet, als dies seiner reduzierten Arbeitsverpflichtung entsprach, steht ihm für die Vergangenheit ein Anspruch auf Schadensersatz in Geld zu.
Zur Überzeugung des LAG ist insbesondere die Erstreckung der Arbeitszeitreduzierung auf Teilzeitbeschäftigte sachlich nicht gerechtfertigt:
Wenn zur Kompensation der nachlassenden Arbeitskraft eines Vollzeitbeschäftigten diesem eine Arbeitszeitermäßigung gegenüber einem jungen Arbeitnehmer im Umfang von maximal drei Stunden gewährt wird und dementsprechend davon ausgegangen wird, dass bei einer verbleibenden Arbeitszeit von 35 Stunden/Woche eine Überforderung des älteren Arbeitnehmers vermieden wird, so ist nicht einsichtig, warum ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, der nur 20 oder 30 Stunden/Woche arbeitet und aus diesem Grunde mit seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit von den angenommenen Grenzen der Leistungsfähigkeit weit entfernt bleibt, gleichwohl eine an das Lebensalter anknüpfende Arbeitszeitverkürzung erhalten soll, obwohl auf ihn der Gesichtspunkt eines gesteigerten Bedürfnisses, sich von der Arbeit zu erholen, ersichtlich nicht zutrifft.
Auf die gesetzliche Verpflichtung der Arbeitgeberin zur (zeitanteiligen) Gleichbehandlung der Teilzeit- mit Vollzeitbeschäftigen (§ 4 Abs. 1 TzBfG) geht das LAG an dieser Stelle erstaunlicherweise nicht ein.
Die unterlegene Gewerkschaft hat Revision zum BAG eingelegt (dortiges Az.: 8 AZR 168/14).