Elektronische Gerichtsakten?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der Bayerische Richterverein - ein Zusammenschluss von rd. 2400 bayerischen Richtern und Staatsanwälten hat in seiner jüngsten Stellungnahme auf Probleme mit der elektronischen Aktenführung hingewiesen, die in den nächsten Jahren landesweit eingeführt werden soll.
Über die Betroffenheit der Richter in ihrer täglichen Arbeit hinaus sind einige Punkte von allgemeinpolitischem Interesse:
Die elektronische Speicherung bietet nicht nur (arbeitsökonomische) Vorteile, sondern bringt auch Gefahren mit sich, für den Datenschutz sowie für die richterliche Unabhängigkeit. Während heute die Akten, soweit sie nicht mehr nur in Papierform vorgehalten werden, elektronisch vor Ort auf Servern des jeweiligen Gerichts gespeichert werden, sollen künftig die Justizakten in ganz Bayern zentral gespeichert und vorgehalten werden - bei den großen Rechenzentren des Bayerischen Landesamts für Steuern.
Der Richterverein zutreffend:
Insbesondere für die Fachgerichtsbarkeiten wie Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit bedeutet dies im Ergebnis, dass die Gerichtsakten vom Prozessgegner verwahrt werden.
Hinzu kommt, dass es in einem zentralen EDV-Netz Administratoren mit dem sogenannten Masterpasswort durch wenige Befehle und innerhalb kürzester Zeit möglich ist, Dokumente einzusehen, Informationen über deren Entstehungsprozess aufzuzeichnen (Meta-Ebene) sowie Dokumente zu kopieren und an Dritte weiterzuleiten. Derartige Administratoren sind nicht nur an der am Oberlandesgericht München eingerichteten Gemeinsamen IT-Stelle der Bayerischen Justiz (GIT) tätig, sondern auch in den von der Exekutive betriebenen Rechenzentren und sogar bei Privatunternehmen, den Firmen Unisys und IBM, beides Töchter US-amerikanischer Unternehmen.
Zudem werden zu den Aktenzeichen auch Entwürfe, Voten etc. gespeichert und auffindbar, die dem Beratungsgeheimnis unterliegen.
Die Sachbehandlung oder vorläufige Würdigung eines den Dienstherrn des Richters betreffenden Rechtsstreits - etwa auf den Gebieten der Staatshaftung oder der Finanzgerichtsbarkeit – oder eines Verfahrens, das Mitarbeiter der Exekutive privat betrifft, könnte ebenfalls von der Dienstaufsicht als Teil der Exekutive gezielt angesteuert werden.
Als Lösung fordert der Richterverein ein Gesetz, das die zentrale Speicherung von Gerichtsakten regelt und dabei den besonderen Schutzbedarf der Akten berücksichtigt.
Schon seit mehr als zehn Jahren wird in den Bundesländern diskutiert, geplant und programmiert, um die Aktenberge künftig abzubauen und von Papier auf Bildschirmarbeit umzustellen. Es werden dazu etliche Millionen eingesetzt mit der vagen Aussicht auf eine künftig schnellere, effektivere (und billigere?) Verfahrensbearbeitung. Allerdings hat sich z.B. in Berlin herausgestellt, dass man dort nicht nur Flughäfen nicht bauen kann....