Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath - der erste Tag
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Vorbemerkung:
Meine Kommentierung der Hauptverhandlung wird sich - gemäß der Ausrichtung des Beck-Blog - v.a. auf die rechtlichen Fragen beziehen, die durch die Hauptverhandlung veranlasst werden. Leider kann ich (v.a. wegen des Vorlesungs- und Prüfungsbetriebs) nicht an allen Verhandlungstagen anwesend sein.
Erster Tag
Es war eigentlich zu erwarten, dass der erste Tag der neuen Hauptverhandlung im Verfahren gegen Gustl Mollath zu einem großen Presseauflauf führen würde, dass aber wegen der Zeugnisverweigerung der ursprünglich für heute als Zeugin geladenen Nebenklägerin noch keine materiell interessanten Erkenntnisse zu berichten sein würden.
Immerhin hat dann der Antrag der Verteidigung, den psychiatrischen Sachverständigen Prof. Nedopil zu entbinden bzw. ihn jedenfalls von der Teilnahme an der Hauptverhandlung auszuschließen, doch für eine rechtlich spannende Fragestellung gesorgt.
I.
Die Vorsitzende hatte – nach entsprechender Stellungnahme der Staatsanwaltschaft - den Antrag der Verteidigung, der noch ergänzt wurde von einer persönlichen Bestätigung des Angeklagten, abgelehnt und es wurde, wenig überraschend, ein Gerichtsbeschluss (§ 238 Abs. 2 StPO) erforderlich. Statt der angekündigten 15 Minuten dauerte es dann doch eine knappe halbe Stunde, bis das Gericht wieder den Saal betrat und die Entscheidung der Vorsitzenden bestätigte. Natürlich wurde unter manchen der anwesenden Pressevertreter spekuliert, ob es tatsächlich so lange gedauert habe, die Schöffen zu überzeugen.
Die Beauftragung des Sachverständigen ergibt sich daraus, dass man für den Fall der Bestätigung der Tatvorwürfe in der Hauptverhandlung auch wieder zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten Beweiserhebungen durchführen müsste. Da der Angeklagte, was sein gutes Recht ist, sich keiner erneuten psychiatrischen Exploration unterziehen wollte, sollte dem Sachverständigen die Erhebung von Anknüpfungstatsachen für seine evtl. erforderliche Begutachtung in der Hauptverhandlung ermöglicht werden - eine nicht unübliche Verfahrensweise, die jedoch erhebliche Probleme bergen kann.
In der Begründung der Entscheidung klang es dann so, als habe man strafprozessrechtlich keine Wahl und jede Einschränkung der Anwesenheit des Sachverständigen berge die Gefahr der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) und damit einen Revisionsgrund. Ganz so eindeutig ist es indes nicht: Nach Gesetzeswortlaut des § 80 Abs. 2 StPO „kann“ dem Sachverständigen „gestattet“ werden, den Vernehmungen beizuwohnen und Fragen zu stellen. Dieser Wortlaut gebietet weder, dass dem Sachverständigen die ständige Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu gestatten „ist“, noch gebietet sie, dass der Sachverständige diese Gestattung auch durchgehend nutzen müsse. Er ist letztlich frei darin zu entscheiden, wie er sich die von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen verschafft.
Selbstverständlich ist das Ermessen des Gerichts durch die Aufklärungspflicht erheblich eingeschränkt, und wenn man seitens des Gerichts eine erfolgreiche Aufklärungsrüge in jedem Fall vermeiden will, dann spricht dies für die getroffene Entscheidung.
Im Spezialkommentar von Eisenberg zum Beweisrecht der StPO heißt es zu dieser Frage (8. Aufl., Rn. 1584):
„Was die Dauer der Anwesenheit des Sv in der HV angeht, so liegt die Entscheidung im Ermessen des Gerichts. Grundsätzlich kann das Gericht dem Sv die Anwesenheit bei der Beweisaufnahme gestatten, insbesondere gilt weder § 243 Abs 2 S 1 noch § 58 Abs 1 entsprechend. In einer Vielzahl der Fälle (insbesondere bei Untersuchungen vorwiegend sächlicher Art) wird es genügen, den Sv nach Erstattung seines Gutachtens zu entlassen. Hingegen wird die Anwesenheit gemäß der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs 2) zB erforderlich sein (vgl BGH 19 367), wenn das Verhalten des Angekl in der HV von Bedeutung ist, wenn die Tatrekonstruktion in der HV sachkundiger Hilfe bedarf oder wenn besondere Persönlichkeitsmerkmale des Angekl beurteilt werden müssen. Sofern das Gericht ihm keine einschlägigen Weisungen erteilt, entscheidet der Sv selbst über die Erforderlichkeit seiner ständigen Anwesenheit (BGH bei Spiegel DAR 77 175; bei Spiegel 85 195; bei Pfeiffer NStZ 81 297).“
Auf der anderen Seite der Waage liegen indes auch erhebliche Beeinträchtigungen durch die (ständige) Anwesenheit des Sachverständigen in der Hauptverhandlung, nämlich dass sich der Angeklagte nicht so frei äußern kann, wie er es für seine Verteidigung für erforderlich hält. Das betrifft unmittelbar die Frage, inwieweit die Subjektstellung des Angeklagten durch seine Rolle als „Objekt“ der Beobachtung untergraben werden darf. Nochmal Eisenberg (Rn. 1584a) dazu:
„Nicht zu übersehen ist, dass die ständige Anwesenheit des Sv während der HV für den dauerhaft Beobachteten eine psychische Belastung bedeuten und er ggfs in der Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte und vor allem in seinem Recht auf Gehör bzw in seiner Verteidigung eingeschränkt werden kann (§ 338 Nr 8; Barbey 34, 59 f; Loos GS-Kaufmann 961). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der gleichfalls im Ermessen des Gerichts stehenden Entscheidung (BGH NJW 69 438), ob der Sv iSd § 80 Abs 2 (auch) in der HV unmittelbar Fragen an den Beschuldigten oder an Zeugen stellen darf (wobei das Gericht unzulässige oder ungeeignete Fragen zurückweist, § 241). Zudem kann bei anhaltender oder gar durchgängiger Beobachtung die Wahrheitsermittlung des Gerichts insofern beeinträchtigt sein, als eine solche Verfahrenssituation verzerrte Entäußerungen des Beobachteten (als im Allg zentraler Erkenntnisquelle) bedingen kann.“
Da hier das Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung 2014 für die Beurteilung seiner Psyche zu den Tatzeiten in den Jahren 2001 bis 2005 kaum relevant erscheint, geht es letztlich nur darum, dass der Sachverständige sich in der Verhandlung einen Eindruck von der heutigen Persönlichkeit des Angeklagten verschafft. Dafür indes scheint die „ständige“ Anwesenheit in der Hauptverhandlung aus Aufklärungsgesichtspunkten nicht erforderlich. Insofern hätte ein Beschluss, der dem Angeklagten jedenfalls an einem Teil der Hauptverhandlung ein psychiatrisch unbeobachtetes Agieren ermöglicht, nicht geschadet. Ebenso erscheint es mir zulässig (und keineswegs abwegig), wenn Herr Prof. Nedopil von sich aus nicht der ganzen Verhandlung folgt, sondern es bei einer Teilbeobachtung belässt, zumal die Situation in der Hauptverhandlung ohnehin nur einen (kleinen und besonderen) Ausschnitt aus den Verhaltensweisen des Probanden zeigt. Nach dem Leitsatz der einschlägigen Entscheidung (BGHSt 19, 367) hätte man Prof. Nedopil auch vorab befragen können, ob er die ständige Anwesenheit als notwendig ansieht. Der Leitsatz lautet:
"Die Pflicht zur Wahrheitserforschung kann das Gericht dazu nötigen, einen Sachverständigen, der sich über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen äußern soll, zu der sonstigen Beweisaufnahme hinzuzuziehen, zumal wenn der Sachverständige seine Anwesenheit für erforderlich hält, um möglicherweise weitere tatsächlcihe Anhaltspunkte für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit zu gewinnen"
Auch in den Gründen dieser Entscheidung (BGHSt 19, 367, 368) betont der BGH die Bedeutung der jeweiligen "besonderen Sachlage, die vor allem durch den Wunsch des Sachverständigen ausgelöst werden kann, bei der Erhebung bestimmter Beweise zugegen zu sein".
II.
Der von der Verteidigung eingebrachte Beweisantrag der Vernehmung von (damaligen) Angestellten der Banken, für die die Ex-Frau des Angeklagten tätig war, zum Ausmaß der Verbringung von Vermögen ins Ausland, um der deutschen Besteuerung zu entgehen, wurde zunächst zurückgestellt. Erst wenn es erforderlich werde, die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin zu beurteilen oder wenn es darum gehe, ob der Angeklagte um die Banken ein „Wahnsystem“ entwickelt habe, wolle man sich diesem Beweisantrag zuwenden. Das ist m. E. eine zutreffende Sichtweise. Sobald es darum geht, warum die Nebenklägerin mit relativ großer Verspätung die Anklagevorwürfe vorbrachte, wird man auch erörtern müssen, ob dies im Zusammenhang mit der Aktivität ihres Mannes stand, ihre Tätigkeiten bei der HVB öffentlich zu machen.