Stundenlohn von 1,54 Euro für (Hartz IV-Leistungen beziehende) Bürogehilfinnen eines Rechtsanwalts ist sittenwidrig
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
In den neuen Bundesländern mehren sich die Klagen von Jobcentern aus übergegangenem Recht auf Zahlung vorenthaltenen Lohns gegen Arbeitgeber, die Empfänger von Hartz IV-Leistungen zu Stundensätzen von teils unter 2 Euro beschäftigen (vgl. den Blog-Beitrag zur Entlohnung eines Pizza-Ausfahrer vom 17.9.2013). Vor dem LAG Berlin-Brandenburg (Urteile vom 7.11.2014 – 6 Sa 1148/14 und Sa 1149/14) hat jetzt das Jobcenter Oberspreewald-Lausitz (Südbrandenburg) ein Betrag von 3.400 Euro erfolgreich gegen einen Arbeitgeber geltend gemacht und damit einen bemerkenswerten Erfolg errungen. In dem jetzt entschiedenen Fall beschäftigte der beklagte Arbeitgeber, ein Rechtsanwalt, neben festangestellten Mitarbeitern zwei Hart IV-Empfänger mit Bürohilfstätigkeiten gegen ein Entgelt von 100 Euro pro Monat. Dies ergab bei der abverlangten Arbeitsleistung einen Stundenlohn von weniger als zwei Euro, nämlich 1, 53 Euro bzw. 1,64 Euro. Das Jobcenter, das den Lohn der beiden Bürohilfen bisher aufstocken mußte, war der Ansicht die Lohnvereinbarung sei sittenwidrig und hielt den Arbeitgeber für verpflichtet, die übliche Vergütung zu zahlen. Das LAG schloss sich dieser Einschätzung an und gab der Klage statt. Die Lohnvereinbarungen führten zu einem besonders groben Missverhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers; die für einen Lohnwucher erforderliche verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers werde bei dieser Sachlage unterstellt. Die Arbeitsleistungen seien für den Arbeitgeber von wirtschaftlichem Wert gewesen; sie hätten ansonsten von ihm selbst oder seinen festangestellten Mitarbeitern ausgeführt werden müssen. Auch entlaste es den Arbeitgeber nicht, dass er den Leistungsempfängern eine Hinzuverdienstmöglichkeit habe einräumen wollen; denn dies berechtige ihn nicht, Arbeitsleistungen in einem Umfang abzufordern, der zu dem geringen Stundenlohn führte. Das LAG hob damit die entgegenstehende Entscheidung des ArbG Cottbus auf, die viel Kritik auf sich gezogen hatte. Das ArbG hatte sich auf den Standpunkt gestellt, derartige Löhne seien zwar auch in strukturschwachen Regionen wie der Niederlausitz sittenwidrig, der Anwalt habe aber nicht ausbeuterisch gehandelt. So hätten die Beschäftigten auf eigenen Wunsch unter diesen Konditionen angefangen, um erst einmal wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Der Anwalt habe keinen wirtschaftlichen Vorteil durch die Einstellung erzielt. Es sei eher eine "Gefälligkeit", eine "gut gemeinte Leistung" gewesen, meinte damals der Vorsitzende Richter. Nach einem Bericht der Berliner Morgenpost will die Arbeitsverwaltung – Regionaldirektion Berlin-Brandenburg – auch künftig genau hinschauen. Verhärte sich mit Blick auf Tarif und ortsübliche Bezahlung der Verdacht, dass der Lohn sittenwidrig ist, werde dagegen vorgegangen. Interessant dürfte sein, wie sich der ab 1.1.2015 geltende Mindestlohn auf diese Problemlage auswirken wird. Insofern ist an die Ausnahme in § 22 Abs. 4 MiLoG hinzuweisen, der wie folgt lautet: „Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht.“