BVerfG: Eine landesrechtliche Strafnorm, die die dauernde Entziehung eines Kindes von der Schulpflicht sanktioniert, ist verfassungsgemäß
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
In Deutschland besteht allgemeine Schulpflicht. Sie beginnt mit dem sechsten und endet mit dem 18. Lebensjahr. Die Eltern minderjähriger Kinder sind verpflichtet, für die Erfüllung der Schulpflicht zu sorgen, ihre Kinder also in die Schule zu schicken. Die Verletzung der Schulpflicht kann als Ordnungswidrigkeit und in einzelnen Bundesländern unter Umständen sogar als Straftat verfolgt werden. Mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 (2 BVR 920/14) hat das Bundesverfassungsgericht § 182 Abs. 1 des Hessischen Schulgesetzes formell wie materiell für verfassungsgemäß erklärt. Nach dieser Bestimmung wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft, wer einen anderen der Schulpflicht dauernd oder hartnäckig wiederholt entzieht.
Die beiden Beschwerdeführer haben neun gemeinsame Kinder. Sie unterrichteten bereits die fünf ältesten Kinder im eigenen Haushalt. Nachdem sie ihren drei nächstälteren Kindern ebenfalls den Schulbesuch verweigert hatten, wurden sie wegen dauernder Entziehung anderer von der Schulpflicht wiederholt zu Geldstrafen verurteilt. Dennoch hielten sie diese drei Kinder auch danach noch vom Schulbesuch ab. Hierbei beriefen sie sich auf „festgefügte und unumstößliche“ Glaubens- und Gewissensgründe. Zuletzt wurden die beiden Beschwerdeführer erneut wegen dauernder Entziehung anderer von der Schulpflicht zu Gesamtgeldstrafen verurteilt. Berufung und Revision gegen dieses Urteil blieben ohne Erfolg.
Mangels Aussicht auf Erfolg wurde die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen:
- Mit § 171 StGB habe der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für Strafrecht nicht abschließend Gebrauch gemacht und deshalb die Landeskompetenz gemäß Art. 72 Abs. 1 GG nicht verdrängt.
- Der Landesgesetzgeber greife zwar mit einer Strafnorm in das Erziehungsrecht der Eltern nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und – zumindest hier – auch in deren Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG ein. Weil aber der in Art. 7 Abs. 1 GG verankerte staatliche Erziehungsauftrag der Schule dem elterlichen Erziehungsrecht gleichgeordnet sei, unterliege es – auch im Lichte des Art. 4 Abs. 1 GG – keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Beachtung der Schulpflicht von den Erziehungsberechtigten dadurch einzufordern, dass der Landesgesetzgeber entsprechende Strafvorschriften schaffe.
- Die Fachgerichte haben nach Auffassung des BVerfG in den angefochtenen Entscheidungen die maßgebliche Strafnorm in verfassungsgemäßer Weise angewendet. Es liege insbesondere auch keine unzulässige Doppelbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG vor. Die geschichtlichen Vorgänge, die den unterschiedlichen Verurteilungen zu Grunde lagen, seien zeitlich nicht identisch und voneinander abgrenzbar.