Die Teilnahme an illegalen Autorennen im Straßenverkehr ist nicht strafbar!
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Das Thema „illegale Straßenrennen“ ist seit einiger Zeit wieder hochaktuell. Immer wieder, derzeit verstärkt im nördlichen Rheinland, kam es in den letzten Monaten zu schwerwiegenden und sogar tödlichen Verletzungen, auch von unbeteiligten Passanten, die etwa zu Fuß oder per Fahrrad unterwegs waren. Offensichtlich hat sich eine Szene meist männlicher junger Fahrer gebildet, die extreme Risiken für sich und andere einzugehen bereit sind, um sich per Fahrzeug zu produzieren.
Um so verwunderter wird man feststellen, dass es bislang keinen Straftatbestand gibt, der dieses Verhalten unabhängig vom eingetretenen Schaden unter Strafe stellt. Wer bei einem Unfall Personen verletzt oder tötet, macht sich natürlich wegen der allgemeinen Normen (insb. §§ 222, 229 StGB) strafbar. Aber wer durch seine Beteiligung an einem Autorennen die Sicherheit des Straßenverkehrs (nur) gefährdet, wird nur wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt, es sei denn er verwirklicht zugleich eine der in § 315 c StGB geregelten „Todsünden“. Die verwirklichte Ordnungswidrigkeit nach § 29 StVO ist überschrieben mit „übermäßiger Straßennutzung“. Weder diese Überschrift noch die Sanktion (400 Euro, 1 Monat Fahrverbot nach Nr. 248 des Bußgeldkatalogs) entspricht dem Gefahrenpotential, das m.E. erheblich über das hinausgeht, was in § 315 c StGB mit einigen "Todsünden" im Straßenverkehr erfasst ist.
Exkurs: Es ist ohnehin merkwürdig, welche „Todsünden im Straßenverkehr“ sich in § 315c StGB unter Nr.2 finden, vor allem aber, welche dort nicht geregelt sind:
"§ 315 c StGB:
(1) Wer im Straßenverkehr
1. (...)
2. grob verkehrswidrig und rücksichtslos
a) die Vorfahrt nicht beachtet,
b) falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt,
c) an Fußgängerüberwegen falsch fährt,
d) an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt,
e) an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält,
f) auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder
g) haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet (...)
So fehlt es an der Strafbarkeit durch das auch unabhängig von Rennen unfallstatistisch häufigste und weitaus schadenträchtigste Verhalten, nämlich das erheblich zu schnelle Fahren (es ist nur erfasst, wenn die Voraussetzungen von d) vorliegen). Stattdessen findet in Buchstabe g) eine zwar gefährliche, aber ziemlich seltene Unfallursache ihren Platz. Bei Streichung des Buchstaben g) habe ich vor einigen Jahren im Rahmen des UDV-Projekts "Regelverstöße im Straßenverkehr" schon vorgeschlagen, in § 315c die Buchstaben d) und e) so zu formulieren:
d) die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 30 km/h, außerorts um 50 km/h überschreitet
e)mit einer unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse erheblich zu hohen Geschwindigkeit fährt, insbesondere bei äußeren Beeinträchtigungen der Sicht oder der Fahrbahnbeschaffenheit sowie an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen,
Zurück zum Thema: Dass die Teilnahme an Straßenrennen weder in § 315 c noch überhaupt im StGB als strafbar geregelt ist, veranlasste mich damals zum Vorschlag der Einführung eines entsprechenden konkreten Gefährdungstatbestands:
„§ 315 d StGB Rennfahrt im Straßenverkehr (neu)
(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, dass er als Kraftfahrzeugführer an einem nicht behördlich genehmigten Rennen teilnimmt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Der bisherige § 315 d StGB wird zu § 315 e StGB.
Mittlerweile bin ich allerdings der Auffassung, dass die Beteiligung an Rennfahrten auch als abstraktes Gefährdungsdelikt dem § 316 StGB (Trunkenheitsfahrt) an die Seite gestellt werden sollte. Dann könnte der Tatbestand so lauten:
Wer als Kraftfahrzeugführer im Straßenverkehr an einem nicht behördlich genehmigten Rennen teilnimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt würde der Tatbestand schon bei Beginn des Rennens erfüllt sein, nicht erst, wenn das Rennen eine konkrete Gefahr oder gar einen Unfall zur Folge hat.
Zusätzlich sollte in § 69 StGB eine Nr.5 eingefügt werden, so dass die Teilnahme an einem solchen Rennen regelmäßig die Entziehung der Fahrerlaubnis als Maßregel nach sich ziehen würde (wie bisher schon Verstöße gegen §§ 315c, 316 und 142 StGB).
Nun muss man (gerade als den Wirkungen des Strafrechts skeptisch gegenüberstehender Kriminologe) vorsichtig sein, was die Kriminalisierung von bisher straflosen Verhaltensweisen angeht. Wenn man aber akzeptiert, dass Strafrecht überhaupt eine sinnvolle gesellschaftliche Einrichtung ist, dann sollte es – auch im Sinne der Normakzeptanz - ausgerichtet sein an vernünftigen, der Tatschwere angepassten Differenzierungen zwischen Ordnungswidrigkeiten und Straftatbeständen.
Ganz konkret zum Thema Beteiligung an illegalen Rennfahrten in der Auslegung des § 29 StVO, vgl. Carsten Krumm hier im Blog.
Update 21.07., abends: Habe oben im Text etwas zur aktuellen Sanktionierung von illegalen Straßenrennen und zu § 69 StGB ergänzt.