Promi-Bonus für Uli Hoeneß?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu 3 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilte Ulrich Hoeneß soll nach der Entscheidung der StVK des LG Augsburg Ende Februar bereits nach Verbüßung der Hälfte seiner Freiheitsstrafe unter Strafrestaussetzung zur Bewährung aus dem Vollzug entlassen werden.
Die Anwendung des § 57 Abs.2 StGB wurde in den Medien teilweise begrüßt, zum Teil auch auch stark kritisiert (Ramelsberger in der SZ: fatales Signal) und nach meinem Eindruck in den Online-Leserkommentaren von einer Mehrheit abgelehnt.
§ 57 Absatz 2 StGB lautet:
Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
1. die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2. die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.
Zitat aus der Pressemitteilung des Gerichts (Quelle: Focus)
Unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Verurteilten, seines Vorlebens, der Umstände seiner Tat, des Gewichts des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes, seines Verhaltens im Vollzug, seiner Lebensverhältnisse und der Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind, hat die Kammer entschieden, dass es verantwortet werden kann zu erproben, ob sich der Verurteilte künftig straffrei führen wird.
Die Kammer hat dabei u.a. betont, dass der Verurteilte trotz seiner Position stets bereit gewesen sei, sich in die Gefangenengemeinschaft zu integrieren. Bei seinen zahlreichen Regel- und Freigängerausgängen sei es zu keinen Beanstandungen gekommen. Sein sozialer Empfangsraum stelle sich äußerst günstig dar.
Trotz des hohen Gesamtschadens weise der Fall erhebliche Besonderheiten auf. So habe sich der Verurteilte letztlich durch eine Selbstanzeige selbst den Ermittlungen ausgeliefert. Zudem habe er den Schaden durch Zahlungen in Höhe von mindestens 43 Millionen Euro wieder gutgemacht.
Meines Erachtens hat die StVK § 57 Abs.2 Nr.2 StGB im Fall Hoeneß zutreffend angewendet.
Die öffentliche Irritation speist sich vor allem daraus, dass § 57 Abs.2 StGB tatsächlich selten angewendet wird. Eine (ältere) Statistik zeigt, dass Entlassungen oft erst nach voller Verbüßung der Strafe erfolgen, vorzeitige Entlassungen meist aufgrund von § 57 Abs.1 StGB (also nach 2/3 der Strafe), nur unter 2 % der Entlassungen erfolgen schon nach der Hälfte der Strafzeit, das ist zwar selten, aber auch nicht die "absolute Ausnahme", wie berichtet wurde. (Zu bemerken ist, dass diese Statistiken nicht ganz einfach zu interpretieren sind, da ein hoher Anteil der tatsächlichen Entlassungen bei Gefangenen erfolgen, bei denen eine Strafrestaussetzung gar nicht möglich ist.) Dass der Anteil von § 57 Abs.2 StGB so gering ausfällt, liegt wohl erstens daran, dass die nach § 57 Abs.2 Nr.1 StGB erforderlichen kurzen Freiheitsstrafen bei Ersttätern nur selten vorkommen (solche Strafen werden zu hohem Anteil von vornherein zur Bewährung ausgesetzt). Zweitens liegt es daran, dass die in § 57 Abs.2 Nr.2 StGB geregelten Voraussetzungen nur selten bejaht werden. Bei vielen der zu Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren verurteilten Straftäter wird es sich um solche handeln, die die Bedingungen des § 57 Abs.2 Nr.2 StGB nur unter Schwierigkeiten erfüllen, weil sie sozial wesentlich weniger gut integriert sind, oft relativ unstabil familiär gebunden sind, oder weniger stabile Erwerbstätigkeiten aufweisen. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der Strafgefangenen in Vollzugseinrichtungen untergebracht sind, die es einem Gefangenen nicht gerade erleichtern, einen so vorzüglichen Eindruck zu machen wie es Herrn Hoeneß, der schon seit einigen Monaten nur noch die Nächte im Vollzug verbringt, offenbar gelingen konnte.
Der Eindruck, Herr Hoeneß sei bevorzugt behandelt worden, ergibt sich allerdings möglicherweise aus der gesamten strafrechtlichen Reaktion, die sich aus mehreren Elementen zusammensetzt:
a) die im Vergleich zur hinterzogenen Geldsumme vergleichsweise geringe Bestrafung
b) die verhältnismäßig frühzeitige Vollzugslockerung zum Freigänger
c) die Entlassung nach Verbüßung der halben Strafe
Immer wenn gegen einen Prominenten ermittelt wird oder er vor Gericht steht, wird der Verdacht geäußert, er werde möglicherweise als Prominenter besonders gut behandelt, d.h. wegen seiner Bekanntheit oder Beliebtheit komme er im Strafrecht besser weg als andere, nicht berühmte Menschen.
Meines Erachtens lässt sich ein solcher allgemeiner Promibonus mittlerweile kaum mehr belegen. Erstens gibt es vielfältige Beispiele, in denen gerade die Prominenz zu Ungunsten der Beschuldigten wirkte bzw. zu wirken schien, vgl. dazu etwa den Kommentar von di Lorenzo in der Zeit von 2014.
Zweitens wird oft außer Acht gelassen, dass ja nur die spektakulären („prominenten“) Fälle bekannt werden. So wissen die meisten, die sich jetzt zu Hoeneß äußern, gar nicht, wie es um die Reaktion des Strafrechts bestellt ist, wenn – bei sonst gleichen Verhältnissen – kein Prominenter betroffen ist. Es wird nur vermutet, man selbst oder ein anderer „normaler Bürger“ komme schlechter weg. Man müsste also zum Beleg eines Promi-Bonus als Vergleichsfall heranziehen denjenigen eines gut sozialisierten mittelständischen Unternehmers, der sich aus der Faszination heraus vom Online-Börsenhandel über geraume Zeit nicht lösen konnte und die dabei zwischenzeitlich erzielten Gewinne in zweistelliger Millionenhöhe nicht beim Finanzamt angezeigt hat, sie vielmehr erst verspätet und unzureichend in einer Selbstanzeige gemeldet hat und sich erst dann reumütig gezeigt hat. Auch im Vergleichsfall sollte ca. das Doppelte der hinterzogenen Millionensumme inzwischen bezahlt worden sein.
Ich denke, bei diesem Vergleich würde sich zeigen, dass ein Promi-Bonus im Fall Hoeneß allenfalls bei der Strafzumessung im ursprünglichen Urteil (Link zur Diskussion hier im Beck-Blog) , nicht aber bei der Anwendung der Vorschriften zum Strafvollzug oder bei § 57 StGB konstatiert werden kann. Ich hatte übrigens sowohl den frühzeitigen offenen Vollzug als auch die Halbstrafenentlassung bereits am Tag des Urteils, am 13.03.2014, vorhergesehen..
Annette Ramelsberger schreibt in der SZ, die vorzeitige Entlassung sei ein "fatales Signal":
Jeder halbwegs beschlagene Jurist hatte erklärt, dass eine Freilassung von Hoeneß nach nur der Hälfte der Strafe nicht angehe: zu hoch sei die Summe seiner Steuerhinterziehung, zu sehr müsse man sich in Acht nehmen, dass nicht der Anschein der Besserbehandlung eines Prominenten entstehe.
Als Beispiel, für wen so ein Entgegenkommen des Staates möglich ist, wird gern der Firmeninhaber genannt, der in Haft sitzt und dessen Unternehmen mit Hunderten Arbeitsplätzen in Gefahr sei, deswegen pleitezugehen. Dass der FC Bayern aber vor der Insolvenz stünde, davon ist bisher nichts bekannt.
Nun, ich halte mich für einen halbwegs beschlagenen Juristen und ich muss deutlich widersprechen: Beide zu Beginn genannten Argumente sind falsch und das Beispiel liegt neben der Sache. Dass ein "Anschein" entsteht, darf ohnehin nicht zu einer bestimmten Entscheidung führen (man stelle sich vor: "Sorry, Herr Hoeneß, Sie müssen drin bleiben, damit kein Anschein ensteht"). Wird auf die Höhe der hinterzogenen Geldsumme abgestellt, dann ist dies ebensowenig treffend. § 57 StGB ist spezialpräventiv ausgestaltet, d.h. es geht allein um die Fragen der Prävention, der Resozialisierung und Rehabilitierung. Bei der Frage der Entlassung nach § 57 StGB darf die Vergeltung, und damit ein Strafmaß, das im Verhältnis zur hinterzogenen Summe steht, keine Rolle spielen. Dass ein Unternhemen sonst pleite gehen würde, ist für eine Halbstrafenentlassung schlicht irrelevant, welcher Jurist soll denn so etwas gesagt haben?
Wenn argumentiert wird, Hoeneß sei im Vergleich mit anderen zu früh entlassen worden, dann sollte dies eher Anlass geben zu fragen, ob nicht auch bei anderen Strafgefangenen eine frühzeitige(re) Entlassung in Betracht zu ziehen ist. Frieder Dünkel, sicherlich der in Deutschland ausgewiesenste Experte für Fragen des Strafvollzugs, kommt in seiner Kommentierung des § 57 StGB jedenfalls zum Ergebnis, dass es in D noch reichlich „unausgeschöpfte Potentiale der Strafrestaussetzung" gibt, wenn man die (zurückhaltende) Anwendung des § 57 StGB betrachtet und auch einen europäischen Vergleich anstellt (Dünkel im Nomos-Kommentar zu § 57 StGB Rn. 90 bis 106). Dem schließe ich mich an.