Soll der Pressekodex zur Kriminalberichterstattung geändert werden?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Heute diskutiert das Plenum des Presserats, wie angekündigt, über die Frage, ob der Pressekodex in Punkt 12.1 reformiert werden sollte. Bisher lautet die 12.1. wie folgt:
"In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."
Auf der Seite „evangelisch.de“ kann man die Geschichte dieser Richtlinie nachvollziehen:
Die Gründe für und gegen die regelmäßige Erwähnung der Nationalität bzw. Herkunft oder Hautfarbe eines Straftatverdächtigen in einem Massenmedium dürften mittlerweile hinreichend bekannt sein. Die Presse sieht sich insbesondere dem Vorwurf ausgesetzt, sie würde bei der Berichterstattung über Straftaten ggf. verschweigen, dass diese von nach Deutschland geflüchteten Menschen begangen worden seien. Dass dies speziell in der Berichterstattung zu den Ereignissen in der Silvesternacht nicht zutrifft, hat Stefan Niggemeier (Übermedien) zutreffend dargelegt.
Ich will in dieser Diskussion auf die Frage der kriminologischen Relevanz derjenigen Merkmale mutmaßlicher Straftäter eingehen, die überhaupt polizeilich registriert und mitgeteilt werden.
Während empirisch abgesichert eine Vielzahl von Faktoren mit Kriminalität in Zusammenhang stehen, werden polizeilich nur ganz wenige solcher Faktoren überhaupt erfasst und dementsprechend auch der Öffentlichkeit mitgeteilt. Diese prominenten Daten sind v.a. Geschlecht, Alter und Nationalität von Tatverdächtigen. Andere Daten wie Bildung, sozioökonomischer Status und erst recht weniger offensichtliche Faktoren werden schon aus praktischen Gründen gar nicht erfasst und bleiben deshalb auch von vornherein verborgen.
Hinter der Verknüpfung von Straftatverdacht mit äußeren Merkmalen der verdächtigen Person bei gleichzeitigem Weglassen anderer Merkmale steckt, außer bei Fahnundungsmaßnahmen, eine kriminologische Theorie, nämlich dass das registrierte/mitgeteilte Datum mit der Straftatbegehung nicht nur zufällig, sondern kausal verknüpft ist. D.h. die mitgeteilte Eigenschaft der nichtdeutschen Staatsangehörigkeit oder Minderheitenzugehörigkeit wird zur einzigen oder wenigstens hervorstechenden Erklärung des Verhaltens.
Nur unter Zugrundelegung einer solchen Theorie kann das Verschweigen der Herkunft des Tatverdächtigen einen Vorwurf an die Presseorgane nach sich ziehen, es werde Bedeutsames verschwiegen. Niemand käme auf die Idee es der Presse vorzuwerfen, dass etwa die Schuhgröße von Tatverdächtigen nicht mitgeteilt würde.
Nun ist aber gerade die Theorie empirisch kaum haltbar, die nationale oder kulturelle Herkunft sei Ursache allgemeiner Kriminalität. Werden andere Merkmale (insbes. Bildungs-, Beschäftigungs- und Altersstruktur der nichtdeutschen Bevölkerung, Wohnortgröße, Anzeigewahrscheinlichkeit) berücksichtigt, ist die Kriminalitätsbelastung Nichtdeutscher gegenüber Deutschen mit daran angepassten Merkmalen nicht mehr erhöht. Die ungenaue Merkmalserfassung und -weitergabe an die Presseorgane kann aber zur Folge haben, dass Straftatenbegehung, die auch in der jeweiligen Nationalitätsgruppe eher selten anzutreffen ist, dieser ganzen Gruppe als fest stehendes Merkmal zugeschrieben wird. So wird dann der Straftatverdacht gegen einen arabischen Jugendlichen gegen alle Personen ausgeweitet, die das Merkmal „arabisch“ teilen. Es ist dann nicht nur die Sorge um Diskriminierung, die einer solchen Meldung entgegenstehen sollte, sondern auch die falsche Verknüpfung von Ursache und Wirkung, die hier aus Mangel an (weiteren) Informationen entsteht.
Daneben gibt es einen zahlenmäßig geringen, aber mit erhöhter öffentlicher Aufmerksamkeit beobachteten Bereich von Delikten, bei denen es eher nahe zu liegen scheint, dass die kulturelle Herkunft oder Prägung mit der Begehung zu tun hat. Als Beispiele können Delikte genannt werden, die von einem in Deutschland nicht (mehr) verbreiteten Ehrbegriff motiviert sind oder auch eine patriarchale Geringschätzung der weiblichen Selbstbestimmung spiegeln, wie sie in Deutschland - allerdings auch erst seit wenigen Jahrzehnten - nicht mehr sehr verbreitet ist. Auch werden schon der Sache nach etwa religiös motivierte Delikte statistisch in höherem Maße von Angehörigen derjenigen Religion begangen, die (vermeintlich) das Motiv dazu abgibt. Auch in diesen Fällen gilt das oben Gesagte insofern, dass aus der benannten Herkunftsgruppe oder Religion regelmäßig wiederum nur wenige Personen solche Delikte begehen, also offenbar andere Faktoren wirken oder im Vordergrund stehen. Jedoch kann in diesen Fällen zumindest der in der bisherigen Richtlinie zum Ausdruck kommende „Sachbezug“ bejaht werden.
Aus kriminologischer Sicht ist die bisherige Richtlinie also vernünftig. Ich erkenne auch keinen vernünftigen Anlass, diese Richtlinie zu ändern.