Mord bleibt Mord - oder nicht? Zum Gesetzentwurf des Bundesjustizministers
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Seit mehr als zwei Jahren wird über das Projekt des Bundesjustizministeriums diskutiert, die Tötungsdelikte im StGB grundlegend zu reformieren. In einem Beitrag im Januar 2014 hatte ich mich kritisch zu einem Vorschlag des DAV geäußert, der schlicht § 211 StGB ganz streichen wollte.
Bundesjustizminister Maas hat seinerseits im Jahr 2015 eine Expertenkommission weitere Vorschläge beraten und bewerten lassen, hier eine kritische Reflektion von Wolfgang Mitsch dazu.
Der Vorschlag des Justizministeriums, der jetzt durch Spiegel Online öffentlich wurde, dürfte also nicht ganz überraschend kommen. Die von SPON vermittelten Kernpunkte des Vorschlags:
1. Totschlag und Mord werden systematisch als Grunddelikt/Qualifikation organisiert
2. Die überkommenen Beschreibungen „Mörder ist…“ „Totschläger ist…“ entfallen
3. Die zwingende Strafe „lebenslang“ für Mord entfällt, lebenslang ist aber weiterhin eine Option neben einer (hohen) zeitigen Freiheitsstrafe.
4. Das Merkmal Heimtücke wird durch Verzicht auf die Arglosigkeit erweitert.
5. Für minder schwere Fälle des Mordes, etwa „wenn der Täter "aus Verzweiflung" handelte, um "sich oder einen ihm nahestehenden Menschen aus einer ausweglos erscheinenden Konfliktlage" zu befreien, durch eine "schwere Beleidigung" oder "Misshandlung (...) zum Zorn gereizt" wurde oder
von einer "vergleichbar heftigen Gemütsbewegung" betroffen war.“ (Quelle: Spiegel Online) soll das Strafmaß auf dasjenige des Totschlags reduziert werden (fünf bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe).
6. Das Merkmal niedrige Beweggründe wird umformuliert in „besonders verwerfliche Beweggründe“ und soll explizit auch rassistische und fremdenfeindliche Motive einbeziehen.
Die Kritik an dem Vorschlag, der bisher im Wortlaut nicht vorliegt, kam prompt: Es handele sich angesichts der kürzlichen terroristischen Attacken um den falschen Zeitpunkt, die Reform sei ohnehin überflüssig und für das höchste Rechtsgut, das Leben, dürfe die lebenslange Freiheitsstrafe nicht relativiert werden, so sinngemäß der bayerische Justizminister Bausback. Überwiegend kritisch auch die Tendenz vieler Kommentare in den sozialen Medien, in denen oft vermutet wird, mit dem Entwurf sollten insbesondere Tötungsdelikte von religiösen Fanatikern als weniger schlimm bewertet werden.
Die Reform scheint jedoch die Antwort des Gesetzgebers auf längst gestellte Fragen darzustellen, die in der Rechtsprechung bislang entweder durch Notlösungen („Rechtsfolgenlösung“) oder durch Kasuistik beantwortet werden. Die jahrzehntelange Diskussion zum systematischen Status der §§ 211, 212 StGB wird endlich im Sinne der überwiegenden Strafrechtslehre beantwortet. Überwiegend positiv äußert sich etwa van Lijnden auf LTO.
Ob die Reform aber wirklich der große Wurf ist?