"Cramming" – Sind Mobiltelefonanbieter (Telekom, Vodafone etc.) am systematischen Betrug zum Nachteil ihrer Kunden beteiligt?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Vor einigen Wochen entdeckte ich auf der vodafone-Rechnung den Rechnungsbetrag der Firma „Super Fast Mobile“. 19,96 Euro wollte Vodafone über die Rechnung einziehen. „Super Fast Mobile“ war mir völlig unbekannt; ich hatte bei dieser Firma nichts bestellt. Aus der Rechnung ergab sich weder, welche Leistung dafür erbracht werden sollte, noch, wann und wo ich diese Leistung bestellt haben sollte. Es wurde nur eine Rückfragen-E-Mail und eine Telefonnummer angegeben (siehe screenshot). Als ich dort anrief wurde mir – ohne dass ich nachfragte – sofort angeboten, ich könne „das Abonnement“ kündigen. Auf meine Frage, was für ein Abonnement das denn sei, bekam ich keine Antwort. Da ich keinen Vertrag geschlossen hatte, kündigte ich nicht. Eine kurze Recherche ergab: Ich bin längst nicht der einzige Betroffene. (Hier ein kurzes Video aus der heute+-Sendung vom vergangenen Samstag). Viele Kunden der großen Telefonanbieter werden mit regelmäßigen Forderungen von Drittanbietern auf ihren Rechnungen konfrontiert, die sie nicht bestellt haben und für die es meist keine erkennbare Leistung gibt. Wenn die Kunden, manchmal erst nach monatelangen Zahlungen zwischen jeweils 5 und 20 Euro, es überhaupt bemerken, bietet der Drittanbieter ihnen „großzügig“ die sofortige Kündigung an. Die Telefonanbieter empfehlen, eine Drittanbietersperre einzurichten. Das vom Telefonanbieter eingezogene Geld zurück zu erhalten sei nahezu unmöglich. Man müsse dafür am Sitz von meist in irgendwelchen fernen Ländern angemeldeten Briefkastenfirmen klagen. Für ein paar Euro lohne sich das nicht. Ich hatte insofern Glück, dass der Betrag vom Anbieter vodafone noch nicht eingezogen worden war. Ich untersagte vodafone, den Betrag einzuziehen. Daraufhin wurde mir von vodafone der Betrag auf dem Rechnungskonto gutgeschrieben. Eine Drittanbietersperre habe ich natürlich auch eingerichtet.
Aber die Sache ist damit eigentlich nur finanziell und für mich persönlich erledigt. Ich bin Opfer eines versuchten Betrugs, der nur im Einzelfall auf Opferseite Bagatellcharakter hat. Insgesamt geht es wohl, wenn man die zig-Millionen Vertragskunden der Mobilfunkbetreiber bedenkt, um eine gewerbsmäßige Betrugsmasche in großem Umfang. Wahrscheinlich mit einem Gesamtschaden von Zig-Millionen Euro jährlich.
Die Betrüger machen sich dabei zunutze, dass die Mobilfunkdienstleister (Telekom, Vodafone etc.) in ihren Verträgen nach wie vor standardmäßig das Abrechnen von Drittanbieterverträgen zulassen. Der Kunde kann so mit seinem Handy einkaufen gehen, ohne dass er eine Bankverbindung eingeben muss, ohne PIN und ohne PayPal-Konto. An irgendwelche Button-Lösungen im Internet denkt natürlich keiner der betrügerischen Drittanbieter. Die Seiten sind so programmierrt, dass sie schon eine Bestellung registrieren, wenn man die unerwünschte Werbung nur wegklickt. Es gibt auch seriöse Drittanbieter, die gemäß der Button-Lösung transparent agieren und für eine tatsächlcih vom Kunden bewusst bestellte Leistung ihren regulären Preis abrechnen dürfen. Aber ein großer Teil der Drittanbieter nutzt die Konstellation nur aus, um rechtsgrundlos auf das Konto der Mobilfunkkunden zugreifen zu können. Ein Klick genügt und die eigene Telefonnummer wird an die Betrüger versendet, damit dann auch unter Behauptung von Phantasie-Verträgen vodafone oder Telekom beim Kunden abkassieren können.
Die nähere Recherche ergibt: Offenbar ziehen die Telefonanbieter die Beträge nicht einfach für die Drittanbieter ein, sondern kaufen diesen die Forderungen ab und ziehen sie erst dann vom Kunden ein. Angeblich bezahlen sie an den Drittanbietern nur ca. 2/3 der Gesamtforderung, ein Drittel bleibt beim Mobilfunkbetreiber. Sprich: Die Masche der Drittanbieter ist für Telekom und Co ein gutes Geschäft. Ein Millionengeschäft, bei denen sie in Kauf nehmen, dass ihre eigentlichen Kunden Opfer der Betrüger werden. Man kann es auch anders ausdrücken: Telekom, Vodafone und Co übernehmen das Inkasso für bekannte Betrüger und können deshalb als Beteiligte angesehen werden. In Abwesenheit eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland bliebe nur zu prüfen, welche Vorstandsmitglieder oder Abteilungsleiter dieser Firmen sich vorsätzlich und persönlich strafbar gemacht haben. Und dann wäre dies ein Fall für die Staatsanwaltschaften.
Die Masche ist weltweit unter dem Namen „Cramming“ oder „Mobile Cramming“ bekannt. AT&T, Sprint, T-Mobile, und Verizon, die großen Telefonanbieter in den USA, mussten 2014/2015 353 Millionen Dollar Strafe und Entschädigungen zahlen, soeben musste auch der Telefonanbieter Bell in Canada 11 Millionen Rückzahlungen zusagen – und zwar genau wegen der beschriebenen Masche, die in Nordamerika zutreffend als Betrug am Kunden angesehen wird (vor einem Jahr wurden in New York City sechs Verdächtige eines solchen Betrugs mit 50 Millionen Dollar Schaden festgenommen, Vorwurf: "conspiracy to commit wire fraud and mail fraud").
Sollten die Rechtsabteilungen der großen hiesigen Telekommunikationsanbieter davon noch nichts gehört haben? Ich bezweifle es. Die Bundesregierung weiß es jedenfalls seit Jahren (Heise-Artikel von 2011) und was tut sie effektiv für den Verbraucherschutz in diesen Fällen?
Immerhin hat das LG Potsdam vor ein paar Monaten endlich zivilrechtlich Selbstverständliches klargestellt: Die Telefonanbieter sind selbst die Ansprechpartner und evtl. Klagegegner, wenn es um die angeblich vertragsgemäßen, tatsächlich aber oft rechtsgrundlosen Zahlungen an Drittanbieter geht.
Vielleicht muss aber den "seriösen" Unternehmen bzw. ihren verantwortlichen Mitarbeitern auch einmal strafrechtlich auf den Pelz gerückt werden?