Neues vom BAG zum AGG - Das Ende der Suche nach Berufsanfängern
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Der u.a. für Entschädigungsklagen nach dem AGG zuständige 8. Senat des BAG hat auf der berufsrichterlichen Bank im vergangenen Jahr erhebliche personelle Veränderungen erfahren. Zwei Richter, darunter der Vorsitzende (Friedrich Hauck), sind in den Ruhestand gegangen, neue Vorsitzende wurde Anja Schlewing. In der neuen Besetzung (Schlewing, Winter, Vogelsang) hat der Senat gleich die erste Gelegenheit ergriffen, in mehreren – denselben Kläger betreffenden und weitgehend gleichlautenden – Urteilen vom 19.5.2016 mit der bisherigen Judikatur grundlegend aufzuräumen. Die Entscheidungen brechen an vielen Stellen mit der bisherigen Linie und bauen die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG komplett neu auf. Hier können nur einige Aspekte hervorgehoben werden:
- Für den Status als „Bewerber“ iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG genügt es, dass die betreffende Person sich beworben hat. Anders als nach der bisherigen Rechtsprechung ist weder die objektive Eignung noch das subjektive Interesse, die Stelle auch tatsächlich zu erlangen, erforderlich.
- Personen, die objektiv ungeeignet sind, können im Falle ihrer Benachteiligung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe gleichwohl keine Entschädigung beanspruchen, weil (und wenn) die Benachteiligung ihnen gegenüber wegen beruflicher Anforderungen objektiv gerechtfertigt ist (§ 8 AGG). Allerdings dürfen die beruflichen Anforderungen nicht nur vorgeschoben sein.
- Eine Rechtfertigung von Benachteiligungen wegen des Alters nach § 10 AGG ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Der Arbeitgeber muss hierzu substantiiert vortragen.
- Eine Benachteiligung wegen des Alters ist dadurch iSv. § 22 AGG indiziert, dass in der Ausschreibung Bewerberinnen und Bewerber mit „0-2 Jahren Berufserfahrung“ gesucht wurden, weil hierdurch mittelbar Ältere benachteiligt werden. Ein weiteres Indiz, hier sogar für eine unmittelbare Benachteiligung, liegt darin, dass in der Ausschreibung eine langfristige Perspektive in einem „jungen und dynamischen Team“ avisiert wurde.
- Auch wenn der Arbeitgeber entgegen § 11 AGG eine Stelle mit benachteiligenden Formulierungen ausgeschrieben und damit ein Indiz nach § 22 AGG gelegt hat, bleibt es ihm unbenommen, Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.
- Bewerberinnen und Bewerbern, die sich nur deshalb auf die Stelle beworben haben, um im Falle ihrer Ablehnung Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machen zu können, kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen gehalten werden. Dessen Voraussetzungen hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Dafür muss in objektiver Hinsicht die Gesamtwürdigung der Umstände ergeben, dass trotz der eingereichten Bewerbung gar kein Zugang zu der offerierten Beschäftigung gesucht wurde; in subjektiver Hinsicht muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht des Bewerbers ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen (der Status als Bewerber) willkürlich geschaffen wurde. Der Missbrauchseinwand greift nicht durch, wenn das fragliche Verhalten eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils.
BAG, Urt. vom 19.5.2016 – 8 AZR 470/14 u.a.
Meine erste Einschätzung:
- Der Senat erweitert und vertieft die Benachteiligungsverbote des AGG, insbesondere dasjenige wegen des Alters. Schon im Verfahren gegen die Charité (Urt. vom 24.1.2013 – 8 AZR 429/11, NZA 2013, 498 – „Young Professional“) hatte das Gericht – noch in der alten Besetzung – Stellenausschreibungen eine Absage erteilt, die sich gezielt an Berufsanfänger richten. Das war offenbar noch lange nicht überall angekommen. Zulässig bleiben dürfte es, darauf hinzuweisen, dass die Stelle auch für Berufsanfänger geeignet ist – aber nicht nur. Wer das nicht beachtet, wird in Zukunft mit Entschädigungsklagen rechnen müssen.
- Der Einwand des Rechtsmissbrauchs dürfte erheblich an Bedeutung verlieren. Die Anforderungen an die Darlegung und den Beweis der hierfür erforderlichen Tatsachen sind so hoch, dass sie einem Arbeitgeber kaum jemals gelingen werden.
- Die beim BAG noch anhängigen Verfahren dürften nahezu ausnahmslos zugunsten der Klägerinnen und Kläger ausgehen, jedenfalls im Sinne einer Zurückverweisung an die Landesarbeitsgerichte.
Eine persönliche Schlussbemerkung: Fast alle, die hier im Blog diskutieren, verbergen sich hinter nichtssagenden Alias-Namen. Mein ausdrücklicher Dank gilt daher dem Kläger der vorgestellten Verfahren, Herrn Rechtsanwalt Dr. Rübenach. Er tritt hier unter Klarnamen auf und scheut sich nicht, für seine Positionen öffentlich einzutreten, wohl wissend, dass diese keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Ich erwarte, dass diese Offenheit von allen Diskutanten respektiert wird und hoffe, dass sie möglichst große Nachahmung findet. Das trägt zur Transparenz und Versachlichung der Diskussion, aber auch dem gegenseitigen Respekt für die Position der jeweils anderen Seite wesentlich bei.