Aus Anlass des Falls Peggy/NSU: Der unumstößliche DNA-Beweis - ein trojanisches Pferd?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Vor wenigen Wochen wurde die Sensation verkündet: DNA-Spur des toten NSU-Terroristen Böhnhardt am Fundort der Leiche von Peggy, einem vor gut 15 Jahren entführten Kind. Der Fall Peggy, der selbst schon Skandale produziert hat - u.a. den mittels zweifelhaften Vernehmungsmethoden und ebenso zweifelhaften Glaubhaftigkeitsgutachten belasteten unschuldigen Ulvi K. Der Fall NSU, ein anderes Nest von Ermittlungs- und Geheimdienstpannen. Und beide Fälle sollen nun - irgendwie - verknüpft sein? Ich hatte meine Zweifel und tippte, wie viele andere, auf Labor- oder Ermittlungsfehler: Denn anders als uns viele Experten weismachen wollen, kann der DNA-Beweis tückisch sein, gerade weil inzwischen sogar aus kleinsten Spuren der große Beweis gemacht wird. Je kleiner die Spur sein darf, um einen Vergleich mit Datenbanken zu ermöglichen, um so filigraner, vorsichtiger müssen Ermittler und Labors mit dem Material umgehen. Denn die Fehleranfälligkeit steigt mit der Präzision des Messinstruments. Winzigste Fehler, ja Fehler, die kaum jemand vorhersieht oder bemerkt, können fatale Konsequenzen haben. Das müssten diejenigen, die im Fall NSU/Kiesewetter schon einmal durch unreine Wattestäbchen genarrt wurden, am besten wissen. Noch ist nicht klar, ob die Böhnhardt-Spur Folge einer Ermittlungspanne ist, aber immerhin hat man seitens der Polizei eine "mögliche" Panne eingeräumt.
Kürzlich habe ich für die NStZ zusammen mit Ulrich Eisenberg eine Entscheidung des BGH besprochen (BGH Urt. v. 24.3.2016 − 2 StR 112/14 NStZ 2016, 490 m Praxiskommentar Eisenberg/Müller). Es ging um einen Fall, in dem die DNA-Spur des Verurteilten (beinahe) der einzige Tathinweis war. Der aber war lt. LG Bonn ziemlich "überzeugend": Der Gutachter hatte eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 300 Trilliarden (!) angenommen, mit der die DNA-Tatortspur mit der DNA des Angeklagten übereinstimmte. Das sind etliche Zehnerpotenzen mehr als die Weltbevölkerung aufweist, einschließlich aller bereits gestorbenen und künftig bis zum Weltuntergang noch lebenden Menschen. Trotz etwas fehlerhafter Argumentation des LG Bonn hat der BGH die Entscheidung bestätigt: Die sehr hohe Übereinstimmungswahrscheinlichkeit dürfe den Tatrichter überzeugen, selbst wenn dazu keine Daten aus der spezifischen Herkunftspopulation des Angeklagten herangezogen worden seien.
Dabei liegt auf der Hand (und bestätigt sich womöglich auch im Fall NSU/Peggy): Technische und menschliche Fehler bei der Spurenermittlung, bei der Aufnahme der Spur, im Labor und bei der Interpration der Spur mögen zwar ebenfalls selten sein, aber sie sind sehr, sehr, sehr viel häufiger als 1 zu 300 Trilliarden. Die vermeintliche Beweiskraft der am Ende angegebenen Übereinstimmungswahrscheinlichkeit erweist sich als trojanisches Pferd, in dem viel häufigere Ermittlungspannen versteckt und an gelegentlich (jedenfalls häufiger als 1 zu 300 Trilliarden) unaufmerksamen Richtern und Anwälten vorbei in den Prozess eingeführt werden können.
In den Fällen Peggy und NSU ist es möglicherweise (!) nur eine weitere Peinlichkeit, die - bei der Häufung von Peinlichkeiten in diesen Fällen - schnell wieder vergessen wird.
In anderen Fällen sollten Staatsanwaltschaften und Gerichte aber, egal wie es bei Peggy/NSU nun ausgeht, daraus Lehren ziehen: So sinnvoll der DNA-Beweis ist, mit scharfem und kritischem Blick sollte die Fehleranfälligkeit dieser Methode auch bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.
Update 8. März 2017: Der Verdacht, es habe sich um eine Verunreinigung gehandelt, hat sich offenbar bestätigt: Zeit Online