Mehr Sicherheit durch Videoüberwachung Privater? – Der BMI-Gesetzentwurf zur Änderung des § 6b BDSG
Gespeichert von Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker am
Jüngst stellte Bundesinnenminister Thomas de Maizière einen weiteren Gesetzentwurf zum Ausbau der Sicherheitsarchitektur im öffentlichen Raum vor: das so genannte „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“, das eine punktuelle Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes in Sachen öffentlicher Videoüberwachung vorsieht. Die Besonderheit dabei: Es geht nicht primär darum, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu erweitern, wie es sonst der Fall ist, sondern für die Betreiber von privaten Einrichtungen soll die erleichterte Möglichkeit zur kamerabasierten Überwachung der von ihnen unterhaltenen Verkehrsflächen geschaffen werden.
Die Rechtmäßigkeit zur Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen richtet sich dabei im allgemeinen Datenschutzrecht nach § 6b BDSG. Nach dieser Regelung, die sowohl für öffentliche als auch für nicht-öffentliche Stellen gilt – wobei für letztere aufgrund spezialgesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen der Anwendungsbereich der Vorschrift verhältnismäßig gering ist – ist eine Videoüberwachung der öffentlich zugänglichen Räume unter anderem nur dann zulässig, wenn dies zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der durch die Überwachungsmaßnahme Betroffenen überwiegen (§6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG). Eine ganz ähnliche Interessenabwägung ist auch für die sich anschließende Verarbeitung und Nutzung des Videomaterials durchzuführen: Diese sind nur dann zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich sind sowie keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen des Betroffenen überwiegen (§ 6b Abs. 3 S. 1 BDSG).
Durch die Änderung des Gesetzes wird zweierlei bezweckt:
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Erstens soll dem § 6b Abs. 1 ein zweiter Satz angefügt werden. Demgemäß ist in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen (z.B. Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen) oder Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als wichtiges öffentliches Interesse bei der im Satz zuvor benannten Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen.
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Zweitens wird auch für die Zulässigkeit der Verarbeitung von Videodaten auf die vorgenannte Abwägungsklausel referenziert, indem § 6b Abs. 3 S. 1 BDSG eine Verweisungsvorschrift angehängt wird.
Begründet wird die angestrebte Gesetzesänderung mit einem gestiegenen öffentlichen Sicherheitsinteresse insbesondere seit den terroristischen Anschlägen in Deutschland seit dem Sommer 2016. Da sich in der Vergangenheit bei den Datenschutzaufsichtsbehörden eine restriktive Praxis zur Beurteilung des privaten Einsatzes von optisch-elektronischen Sicherheitstechnologien herausgebildet hätte, werde durch die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen ein Ausgleich in der Abwägungsentscheidung zur Zulässigkeit von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Verkehrsraum geschaffen. Bei den neu hinzutretenden Vorschriften sei ferner zu berücksichtigen, dass die Interessenabwägung hierdurch nicht pauschalisiert werde, sondern weiterhin für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen sei. Hierbei müssen das berechtigte öffentliche Interesse und das grundgesetzlich abgesicherte Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeneinander abgewogen werden.
Was im ersten Moment noch plausibel klingen mag, erweist sich bei näherem Hinsehen als äußerst fragwürdig: So ist nicht nur bereits unklar, ob die angestrebte und verstärkte Videoüberwachung des öffentlichen Raums tatsächlich zu den angestrebten Ergebnissen im Sinne einer verfassungsrechtlichen Geeignetheit zu führen vermag. Erwartet wird laut der Entwurfsbegründung unter anderem, „Anschläge wie in Ansbach und München im Sommer 2016 zu verhindern“. Ob und wie dies bei unangekündigt und rasch handelnden Tätern geschehen soll, wie dies auch in der jüngsten Vergangenheit der Fall gewesen ist, bleibt offen. Eine präventive Abschreckungswirkung dürfte von der Videoaufzeichnung im Hinblick auf die terroristischen Anschläge jedenfalls nicht zu erwarten sein.
Auch besteht das Risiko, dass durch die angestrebte „vordefinierte“ Abwägungsentscheidung die Interessenabwägung zwischen informationeller Selbstbestimmung und staatlichem Sicherheitsinteresse einseitig in Richtung der Sicherheit verschoben wird – wieder einmal. Dass dabei gerade die öffentliche Videoüberwachung einen zunehmenden Ausbau erfährt, entspricht dem allgemeinen Trend hin zu mehr gefühlter öffentlicher Sicherheit. Eine im Endeffekt nur theoretische Einzelfallentscheidung, verknüpft mit einem derart weit gefassten Tatbestand, wie er durch die Gesetzesnovelle vorgegeben wird, führt im Ergebnis zu einer Entscheidung, die nur in wenigen Fällen den Einsatz von Überwachungskameras nicht zu rechtfertigen vermag. Besonders kontrovers mutet es dabei an, wenn das gesetzgeberische Handeln mit den aufgabenspezifischen und im Einklang mit den jeweiligen Pflichten stehenden Handelns der hamburgischen Datenschutzaufsichtsbehörde begründet wird. Dabei drängt sich gar auf, dass sich der Gesetzgeber nunmehr bewusst über die Berücksichtigung grundlegender datenschutzrechtlicher Maßstäbe hinwegsetzen will, indem er durch Gesetzesänderungen neue und zunächst unverrückbare Tatsachen schafft.
Nicht zuletzt ist es ein erklärtes Ziel der Novelle, die Aufgabenwahrnehmung der öffentlichen Sicherheit in Teilen privaten Einrichtungen zu übertragen. Zwar ist es richtig, dass gerade auch Private in nicht unerheblichem Maße großflächige öffentliche Verkehrsräume schaffen und unterhalten, die, wie sich in der Vergangenheit gezeigt haben, unter den gegenwärtigen Umständen auch ein erhöhtes Risikopotenzial bieten können. Gleichwohl darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine umfassende Auslagerung der Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Sicherheit de facto durch Private zu einer nur schwer kontrollierbaren Situation führt, indem sich jede – letztlich möglicherweise auch zu anderen Zwecken wie beispielsweise der Diebstahlsicherung – erfolgende Videoüberwachung letzten Endes auf die Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Sicherheit stützen lässt, soweit der private Betreiber eine bestimmte Größe überschritten hat oder andere, gleichermaßen einleuchtende Gründe benennen kann, was aufgrund der zuvor schon genannten tatbestandlichen Weite der Vorschrift nicht schwierig sein wird. Mit der deutlich angestrebten Kooperation zwischen Ermittlungsbehörden und Privaten in Verbindung mit der flächendeckenden Möglichkeit zur Videoüberwachung würde dadurch eine Überwachungsdichte des öffentlichen Raumes geschaffen, die bisher beispiellos ist.
Das „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ macht mit seinem Regelungsgehalt mehr als deutlich, dass ein Zurücktreten der informationellen Selbstbestimmung gegenüber staatlichen Sicherheitsinteressen zunehmend auch pauschal für möglich und legitim gehalten wird – eine höchst bedenkliche Tendenz.