Schon wieder? - Justizminister Maas will § 113 StGB erneut verschärfen. Gibt es dafür einen vernünftigen Grund?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Bundesjustizminister Maas ist diese Woche mit dem Vorschlag an die Presse (Zeit-Online) gegangen, § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) erneut zu verschärfen. Grund ist die Klage von Polizeibeamten und Rettungskräften, sie würden im Dienst mit zunehmender Häufigkeit und Intensität tätlich angegriffen. Offenbar hat sich der Effekt der erst vor knapp fünf Jahren erfolgten Verschärfung (Beck-Blog) schon abgenutzt (?)
Kriminalstatistisch lässt sich eine Zunahme solcher Fälle nicht erkennen, im Gegenteil – obwohl ja die Polizei die Statistik selbst führt: Seit 2008 sind die Fallzahlen um mehr als 20 % (!) rückläufig (von 28.000 auf 22.000), auch die Einbeziehung der Rettungskräfte im Jahr 2011 (§ 114 Abs.3 StGB) hat die Zahlen nicht ansteigen lassen (Quelle: BKA-PKS, Zeitreihe zu 621000), seit 2 Jahren sind die Zahlen gleich geblieben (siehe Diagramm). Ein relevantes Dunkelfeld dürfte es hier kaum geben. Anders als Kollege von Heintschel-Heinegg noch 2009 bemerkte, lässt sich eine Strafschärfung also dieses Mal nicht einmal mit einem „erschreckenden“ Anstieg der Fallzahlen begründen. An einem sachlichen Grund für eine erneute Strafschärfung mangelt es.
Die schnelle (und billige) Lösung bei solchen Anliegen ist regelmäßig die, die auch Minister Maas jetzt vorschlägt: Die Strafbarkeit soll nochmal erweitert werden. Teils, weil man glaubt, auf diese Art vor solchen Taten abzuschrecken, teils, weil man glaubt, die Verschärfung habe schon symbolischen Wert. Symbolischen Wert hat eine solche Maßnahme vor allem für die Betroffenen Berufsgruppen. Ihnen wird signalisiert, dass man ihre Klagen ernst nimmt, dass Regierung und Gesetzgeber auf ihrer Seite stehen und ihnen wird symbolisch auch gegenüber dem (meist polizeilichen) Gegenüber der Rücken gestärkt.
Was die Öffentlichkeit und sogar der Justizminister übersehen, ist, dass § 113 StGB ein ohnehin denkbar unbefriedigend unklarer Straftatbestand ist, der durch eine Verschärfung weiter an Unklarheit gewinnt.
Seit Jahrzehnten streitet die Rechtswissenschaft um den Sinn und Zweck dieser Norm:
In seiner (früheren) Ausgestaltung war nämlich § 113 StGB als Privilegierung zu § 240 StGB konzipiert. Statt bei einem Angriff auf Vollstreckungsbeamte per § 240 StGB mit maximal 3 Jahren bestraft werden zu können, wurde derjenige, der sich gegen eine staatliche Vollstreckungshandlung zur Wehr setzte, milder bestraft (maximal 2 Jahre). Damit wurde praktisch der Individualschutz des Amtsträgers zurückgenommen, gerade weil er für den Staat auftrat. Schutzgut war in erster Linie die Vollstreckungsgewalt des Staates, erst in zweiter Linie der Individualschutz. Letzterer wäre ja durch § 240 StGB besser gewährleistet, tritt aber bei Anwendung des § 113 StGB zurück.
Wenn man nun (entgegen dem historischen Gesetzgeber) den Individualschutz der Amtsträger und Rettungskräfte in den Vordergrund rücken wollte, wäre die richtige Konsequenz, § 113 StGB auf den reinen Vollstreckungsschutz zurückzuschneiden, insbesondere „die Tatmodalität des tätlichen Angriffs ersatzlos zu streichen. Damit würde klargestellt, dass § 113 StGB mangels einer individualschützenden Zwecksetzung nicht als Privilegierung zu verstehen ist.“ (so Bosch in MüKO-StGB zu § 113, Rn. 2). Die Störung von Rettungskräften (Notärzte, Sanitäter, Feuerwehren etc.) könnte in einem eigenen Straftatbestand erfasst werden, wenn man dies für nötig hält - mit "Vollstreckung" staatlicher Maßnahmen haben diese ohnehin nichts zu tun, weshalb auch eine Privilegierung (durch die Irrtumskonstruktionen des § 113 StGB) nicht zur Debatte stehen dürfte.
Der Gesetzgeber ist aber schon 2011 in die entgegengesetzte Richtung gegangen und hat den Strafrahmen auf drei Jahre angehoben, um der zunehmenden Gewaltbereitschaft gegenüber Vollstreckungsbeamten zu begegnen udn hat die Rettungskräfte mit § 114 Abs.3 StGB einbezogen. Maas schlägt nun vor, die verschärfte Norm noch einmal zu verschärfen:
«Wenn ein tätlicher Angriff - etwa bei Demonstrationen - gemeinschaftlich von mehreren Personen verübt wird, soll dies als besonders schwerer Fall gewertet werden», betonte Maas. Dies soll auch gelten, wenn ein Angreifer eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug dabei hat - egal, ob er es einsetzen will. (Quelle: Stern)
Es geht letztlich also um eine Detailanpassung der Norm, wodurch ihr Schutzgut aber noch weiter verunklart wird.
Insbesondere dass das bloße Beisichführen eines gefährlichen Werkzeuges, das sich schon bei § 244 StGB (Diebstahl) als Schildbürgerstreich entpuppt hat, nun auch bei § 113 StGB eingeführt werden soll, lässt an der juristischen Vernunft der Verantwortlichen zweifeln.
Ergänzend: Kritisches Editorial meines Kollegen Singelnstein zum ähnlichen Vorschlag des Bundeslands Hessen aus dem vergangenen Jahr.
Update (01.12.2016): Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass im "Bundeslagebild Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte 2015" durchaus ein Anstieg der Opferzahlen (zumeist einfache Körperverletzung) verzeichnet worden ist (siehe dort S. 15). Das trifft zwar zu, doch betreffen diese Zahlen andere Straftatbestände (insb. §§ 223, 224 StGB), deren Verschärfung ja gar nicht zur Diskussion gestellt wird. Die Verschärfung des § 113 kann eine Verfolgung dieser Straftaten gegen Polizeibeamte nicht erleichtern.
Update (02.12.2016):
Auf Twitter hat nun das BMJV geantwortet mit dem Hinweis auf die Opferzählung, aus der sich ein Anstieg der Polizeibeamten, die Opfer von Straftaten geworden sind, ergibt (Quelle):
In '15 wurden im Vgl. zu '14 1,9% mehr Polizeivollzugsbeamte Opfer von vollendeten Straftaten (1.084). lt. PKS
Ich hatte bereits gestern auf die Opferzählung hingewiesen, die von 2014 auf 2015 eine höhere Anzahl von Polizeibeamten als Opfer ausweist (siehe oben).
Um es aber noch einmal zu sagen: Soweit Gewalt gegen Polizeibeamte durch andere Straftatbestände erfasst ist, ist die hiesige Diskussion, in der es um eine Verschärfung des § 113 StGB geht, nicht betroffen. Man kann nicht plausibel eine (Detail-)Verschärfung des einen Straftatbestands mit der erhöhten Opferzahl bei anderen Straftatbeständen begründen.
Die Opferzählung bei § 113 StGB weist eine (leichte) Steigerung in den letzten Jahren auf, obwohl die Fallzahlen gesunken bzw. stabil geblieben sind. Bei § 113 StGB selbst ist eine Opferzählung allerdings etwas heikel. Man kann nämlich bei der Widerstandshandlung alle an der Vollstreckung beteiligten Beamten formal als "Opfer" zählen (auch wenn sie nicht körperlich betroffen sind, § 113 StGB setzt keine Verletzung voraus). Hier erscheinen mir die Fallzahlen ein realistischeres Bild abzugeben, zumal bei sinkenden Fallzahlen und sinkenden Tatverdächtigenzahlen immer mehr Polizeibeamte "Opfer" des § 113 StGB wurden. Im Jahr 2011 hatte jede Widerstandshandlung im Schnitt noch 1,56 Opfer, im Jahr 2015 waren es 1,84 Beamte. Auch diese Zahlen werden aber, das sollte man nicht vergessen, allein von der Registrierung durch die Polizieibeamten selbst gesteuert. Ein Anstieg kann hier auch die verstärkte Erfassung (etwa geringfügiger Widerstandshandlungen) spiegeln, nicht notwendig auch eine Verschärfung der Situation.
Für meinen Beitrag war mir wichtig festzuhalten, dass die Wirklichkeit (auch soweit sie in der PKS erfasst ist) keinen Anlass zur erneuten Verschärfung des § 113 StGB bietet.
Update 08.12.2016: In einem anderen Interview (Quelle Berliner Morgenpost) - Danke für den Hinweis eines Twitter-Lesers - hat der Bundesjustizminister davon gesprochen, dass ein neuer Straftatbestand geschaffen werden soll, der unabhängig von Vollstreckungshandlungen tätliche Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte unter Strafe stellen solle. Ob dies angesichts der Strafbarkeit der versuchten einfachen Körperverletzung, die meist mit einem tätlichen Angriff zusammenfällt sinnvoll wäre, erscheint ebenfalls fraglich; eine Strafbarkeitslücke kann ich kaum erkennen. Möglicherweise werden aber einige dogmatische Schwächen, die mit der bisherigen - 2011 verschärften - Regelung des § 113 StGB verbunden waren, dann beseitigt (etwa Streichung des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB). Ich enthalte mich vorerst eines weiteren Kommentars und warte auf den konkreten Gesetzesvorschlag, der noch für dieses Jahr angekündigt ist und den ich dann, auch unter Berücksichtigung einer Bewertung der Opferzählung, kommentieren werde.