BAG erneut zu rechtsmissbräuchlichen AGG-Klagen
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Zwei Schritte vor, einer zurück? Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man die jüngste Rechtsprechung des BAG zur Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG und dem dagegen gerichteten Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) betrachtet. Im Vorlagebeschluss vom 18.6.2015 (8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063) hatte das Gericht bereits relativ strenge Anforderungen an den Rechtsmissbrauch gestellt und u.a. formuliert:
(24) ... Auch wenn der Kl. sich gerade auf solche Stellenausschreibungen beworben hat, deren Formulierung einen Anschein von Diskriminierung erwecken, steht dies entgegen der Auffassung der Bekl. einem Entschädigungsanspruch nicht entgegen.
Noch vor der Antwort des EuGH auf das Vorabentscheidungsersuchen (EuGH, Urt. vom 28.7.2016 – C-423/15, NZA 2016, 1014 - Nils Kratzer) hatte der "neue" Achte Senat dann mit Urteilen vom 19.5.2016 die Voraussetzungen an einen Rechtsmissbrauch so hoch geschraubt, dass dessen Nachweis praktisch ausgeschlossen erschien (BAG, Urt. vom 19.5.2016 - 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 mit ausführlicher Kommentierung hier im BeckBlog).
Jetzt scheint das Gericht wieder etwas zurückzurudern. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs soll auch darauf gestützt werden können, dass der Kläger sich lediglich oder beinahe ausschließlich auf Stellenanzeigen bewirbt, die unter Verstoß gegen § 11 AGG verfasst worden sind, also beispielsweise eine Benachteiligung wegen des Alters indizieren. Die neuesten Leitsätze lauten:
1. Ein Entschädigungsverlangen nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Dies ist anzunehmen, sofern der Kläger/die Klägerin sich nicht beworben haben sollte, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm/ihr darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber/in iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen.
2. Nur derjenige kann den Schutz des AGG vor Diskriminierung einschließlich der in § 15 AGG geregelten Ersatzleistungen für sich beanspruchen, der auch tatsächlich Schutz vor Diskriminierung beim Zugang zur Erwerbstätigkeit sucht.
3. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den - rechtshindernden - Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht.
4. Bewirbt sich eine Person lediglich oder fast ausschließlich auf Stellenausschreibungen, die „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, die Stelle sei unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben worden, kann im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung die Annahme gerechtfertigt sein, ihr sei es nur darum gegangen, die Erfolgsaussichten eines Entschädigungsprozesses zu erhöhen.
Der Rechtstreit wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
BAG, Urt. vom 11.8.2016 - 8 AZR 4/15, in Kürze in BeckRS
Ich muss gestehen, dass mir die Linie des Senats nicht so recht klar ist. Aber das aufzuklären, bleibt ja viel Zeit in 2017.
Einen guten Start in das neue Jahr wünschen
Markus Stoffels und Christian Rolfs