Kein Schmerzensgeld für nicht indizierte künstliche Ernährung am Lebensende
Gespeichert von Dr. Michaela Hermes, LL.M. am
Über Fragen am Lebensende eines unheilbar kranken und dementen Mannes hatte das Münchner Landgericht I, Urteil vom 18.01.2017 – 9 O 5246/14,http://rsw.beck.de/aktuell/meldung/lg-muenchen-i-trotz-nicht-indizierter-kuenstlicher-ernaehrung-kein-schadenersatzanspruch-gegen-arzt zu entscheiden. Weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld erstritt der gegen den Hausarzt klagende Sohn.
Der Vater des Klägers wurde seit 2006 künstlich ernährt. Er verstarb im Jahr 2011. Der Kläger war der Auffassung, die Ernährung durch eine Magensonde sei in den 22 Monaten vor dem Tod des Vaters medizinisch nicht indiziert gewesen. Sie habe das Leiden seines Vaters unnötig verlängert. Der Sohn forderte Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,-€ und Ersatz der Behandlungs- und Pflegekosten in Höhe von etwa 52.000,-€.
Der Sohn lebte und arbeitete in den USA. Er hatte seinen Vater seit 2008 nicht mehr gesehen. Für den Vater war ein Betreuer bestellt.
Die Entscheidung
Das Landgericht attestierte dem Arzt einen Behandlungsfehler. Denn er habe den Betreuer nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr zu erreichen gewesen wäre. Das Gericht sah darin eine Verletzung der Pflicht des Arztes aus § 1901b Abs. 1 BGB.
Die Richter wiesen die Klage trotzdem ab. Denn der Kläger konnte, so die Richter, nicht nachweisen, dass ein Gespräch zwischen Arzt und Betreuer zu einer Entscheidung i.S. von § 1901a BGB, die Ernährung zu beenden, geführt hätte. Eine Patientenverfügung gab es nicht. Ein mutmaßlicher Wille des Patienten hinsichtlich des Einsatzes oder Nicht-Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen ließ sich nicht feststellen.
Es wird weitergehen. Der Anwalt des Klägers kündigte Berufung an.
Worauf müssen wir uns einstellen?
Solche Fälle werden sich in Zukunft häufen. Zeigen sie doch in welchem Dilemma Ärzte und Patienten stecken können. Intensiv- und Palliativmediziner sind schon lange mit der Problematik vertraut. Aber auch die Hausärzte müssen besonderes Augenmerk darauf legen, welche Maßnahmen im Hinblick auf den Zustand und die Prognose eines Patienten indiziert sind, um sie dann mit den entscheidungsbefugten Personen zu besprechen. So steht es in § 1901b Abs. 1 BGB.
Nur drei Prozent der Menschen möchten im Krankenhaus sterben. Tatsächlich beenden mehr als zwei Drittel der Menschen ihr Leben im Krankenhaus. Ängste vor einem leidvollen Sterbeverlauf und vor dem Ausgeliefertsein an lebensverlängernde medizintechnische Maßnahmen begleiten oft das Lebensende.
Die meisten Patienten wollen lebenserhaltenden Maßnahmen in Anspruch nehmen. Dies zeigte eine aktuell veröffentlichte Studie. Dazu der Blog Beitrag: http://community.beck.de/2016/10/13/ihr-verfluchten-racker-wollt-ihr-denn-ewig-leben-zurueckhaltende-resonanz-bei-patientenverfuegungen.
Die wenigsten äußern sich solange sie gesund sind. Oftmals kennen sie die medizinischen Einzelheiten, über die sie entscheiden sollen nicht. Viele Patienten sind schlicht überfordert oder gehen dem Thema aus dem Weg. Die ärztliche Beratung und Information darüber ist keine Kassenleistung, es sei denn die Patienten erhalten bereits eine palliative Behandlung.
Ohne gültige Patientenverfügung aber beginnt ein Rätselraten um den mutmaßlichen Willen. Nur im Dialog lassen sich gute Entscheidungen treffen. Doch oft ist die Angst verantwortlich für eine mangelnde Kommunikation. Denn „‘Angst`… ist das größte Hindernis für die Kommunikation über und im Sterben“, schreibt der Palliativmediziner Domenico Borasio in seinem Buch „Über das Sterben“.