EuGH zur dynamischen Bezugnahme nach Betriebsübergang
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Nimmt der Arbeitsvertrag dynamisch auf einen bestimmten Tarifvertrag Bezug und geht das Arbeitsverhältnis durch einen Betriebsübergang (§ 613a BGB) auf einen neuen Inhaber über, der an keinen oder einen anderen Tarifvertrag gebunden ist, stellt sich die Frage der Fortgeltung der Bezugnahme. In seiner jüngeren Rechtsprechung erkennt das BAG, dass der vertraglich in Bezug genommenen Regelung gem. § 4 Abs. 3 TVG der Vorrang gebührt, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist als diejenige, die normativ auf das Arbeitsverhältnis einwirkt. Allerdings war nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Alemo-Herron (EuGH, Urt. vom 18.7.2013 - C-426/11, NZA 2013, 835) streitig geworden, ob diese Interpretation mit der Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23/EG vereinbar ist. Der Gerichtshof hatte nämlich entschieden, es sei den Mitgliedstaaten verwehrt, vorzusehen, dass im Fall eines Unternehmensübergangs die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Tarifverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Tarifverträge teilzunehmen.
Diese Judikatur hat der EuGH nun modifiziert:
Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen in Verbindung mit Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass sich im Fall eines Betriebsübergangs die Fortgeltung der sich für den Veräußerer aus einem Arbeitsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten auf die zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer privatautonom vereinbarte Klausel erstreckt, wonach sich ihr Arbeitsverhältnis nicht nur nach dem zum Zeitpunkt des Übergangs geltenden Kollektivvertrag, sondern auch nach den diesen nach dem Übergang ergänzenden, ändernden und ersetzenden Kollektivverträgen richtet, sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.
Die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen und den Arbeitnehmern günstigeren Regelungen - im Streitfall die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes - gelten also auch gegenüber dem Betriebserwerber fort. Er muss lediglich die Möglichkeit haben, sich von dieser Vereinbarung auch einseitig zu lösen. Dies ist nach nationalem deutschen Recht durch Änderungskündigung (§ 2 KSchG) möglich. Dass deren Voraussetzungen mangels sozialer Rechtfertigung praktisch niemals vorliegen werden, ist wohl irrelevant.
Die gegenteilige Auffassung, die Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 29.1.2017 (BeckEuRS 2017, 493221) vertreten hatte, wird vom Gerichtshof nicht einmal erwähnt.
EuGH, Urt. vom 27.4.2017 - C-680/15 und C-681/15, BeckRS 2017, 108049 - Asklepios