'Living apart together' nicht schädlich für die Zusammenveranlagung
Gespeichert von Prof. Dr. Claus Koss am
Dieser Blog-Beitrag ist einer auf Scheidungsfälle spezialisierten, aber nicht mehr in Regensburg praktizierenden Rechtsanwältin gewidmet. Der Verfasser hatte sich gerade in eigener Kanzlei selbständig gemacht, klingt am Freitagabend das Telefon: "Du, Claus, müssen wir jetzt ins Gefängnis?", fragte ängstlich eine Bekannte. Sie war mit dem gemeinsamen Sohn gerade aus der ehelichen Wohnung in eine zweite Wohnung gezogen, die ihr Mann für eine "Auszeit" besorgt hatte. Für das laufende Jahr hatte der Verfasser die Zusammenveranlagung beantragt. Da die Frau ihren Beruf für das Kind aufgegeben hatte, war die Steuererstattung unter dem Splittingtarif wesentlich höher als bei einer Einzelveranlagung des Ehemanns. Was hatte die Rechtsanwältin getan? Sie hatte beim Finanzamt angerufen, dort ausgeführt, die Ehegatten würden jetzt dauernd getrennt leben, der Steuerberater hätte aber die Zusammenveranlagung beantragt. Ob denn da der junge Steuerberater so Recht habe? Es ist wie immer, wenn ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegt wird: es treten auch andere Rechtsfolgen ein. Der Finanzbeamte zog gleich die richtigen Schlussfolgerungen: dauernd getrennt lebende Ehegatten können nur einzeln veranlagt werden. Beantragen sie - unter Vorspiegelung falscher Tatsachen - trotzdem die Zusammenveranlagung kommt eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung in Betracht. Im vom Verfasser vertretenen Fall war die Auszeit aber erkennbar auf eine vollständige Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft gerichtet. Es gab also keine Anhaltspunkte, warum die Rechtsanwältin einen anderen Sachverhalt beim Finanzamt hätte vortragen sollen.
Einen extremeren Fall des räumlichen Getrenntlebens hatte das FG Münster zu entscheiden: Die Ehegatten sind seit 1991 verheiratet und haben einen im selben Jahr geborenen Sohn. Mutter und Sohn zogen nach zehn Jahren des Zusammenlebens aus dem bis dahin gemeinsam bewohnten Einfamilienhaus in eine eigene Wohnung. Für 2012 führte das Finanzamt zunächst eine Zusammenveranlagung durch. Doch dann stellte das Finanzamt im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der als Ärztin tätigen Ehefrau fest, dass die Voraussetzung des 'nicht dauernd Getrenntlebens' (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) nicht mehr erfüllt sei und veranlagte beide nur mehr einzeln. Da der Ehemann laut Sachverhalt nur Renteneinkünfte bezog, ist anzunehmen, dass es vermutlich zu einer größeren Steuernachzahlung kam.
Das Finanzgericht folgte der Einschätzung des Finanzamts nicht: Ursache für den Auszug der voll berufstätigen Klägerin 2001 sei durch schwierige familiäre Situation der im selben Haus lebenden pflegebedürftigen Schwiegermutter begründet gewesen. Auch danach hätten sich die Eheleute weiterhin regelmäßig abends und an Wochenenden getroffen, gemeinsame Ausflüge, Urlaube und - nota bene - sonntägliche Kirchenbesuche unternommen. Die Kosten hierfür und den Unterhalt für den gemeinsamen Sohn hätten beide gemeinsam getragen. Im Urteil wird es so schön beschrieben: einmal hätte der eine, einmal die andere bezahlt. Andere Partner habe es niemals gegeben. Außerdem sei der Bau eines Bungalows auf einem gemeinsam erworbenen Grundstück geplant.
Das Finanzgericht kam nach persönlicher Anhörung der Eheleute und Vernehmung des Sohns als Zeugen zu dem Ergebnis, dass diese nicht dauern getrennt i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG lebten. In der heutigen Zeit seien auch Formen des räumlichen getrennten Zusammenlebens ("living apart together"). Auch sei es heute üblich, dass jeder Ehegatte sein eigenes Bankkonto habe und grundsätzlich getrennt wirtschafte. Es habe jedoch eine bestehende Wirtschaftsgemeinschaft bestanden. Dies zeige sich an der gemeinsamen Finanzierung von Sohn und gemeinsamen Unternehmungen sowie am gemeinsamen Grundstückskauf für das Bungalow.
Der Entscheidung des FG Münster ist zuzustimmen. Es mag zwar sein, dass der historische Gesetzgeber die treusorgende Hausfrau und Mutter vor Augen hatte, der der Mann allabendlich das Geld ins Haus bringt. Diese Vorstellung entspricht aber nicht mehr der Realität.
Die Entscheidung zeigt gleichzeitig den grundsätzlich falschen Ansatz des Splittingtarifs. Den größten steuerlichen Vorteil hieraus haben Ehepaare, bei denen der eine sehr viel, der andere nur einen pauschal besteuerten Minijob oder gering besteuerte Einkünfte hat. Im entschiedenen Fall war die Frau die offensichtlich besser verdienende, oft ist es aber (noch) der Mann. Den größten ökonomischen Vorteil haben die Ehegatten, wenn sie keine Kinder haben. Denn Kinder kosten nach den Erfahrungen des Verfassers mehr als Kindergeld oder Kinderfreibetrag bringen. Wäre, so die kritische Frage, es nicht viel sinnvoller, der Gesetzgeber würde den Splittingtarif zugunsten eines besseren Familienleistungsausgleichs abschaffen? Dann müssten die Finanzgerichte nicht den gemeinsamen Unterhalt für den Sohn als Beweisanzeichen für das Zusammenleben werten, sondern Kinder wären im Steuerrecht angemessener berücksichtigt.