Umsatzsteuerpflicht bei Fahrschulen
Gespeichert von Prof. Dr. Claus Koss am
Früher war bekanntermaßen alles besser. Der "graue Lappen" trug die Eintragung "Klasse 3" und berechtigte zum Fahren von Pkw sowie Fahrzeugen mit Anhängern bis zu 7,5 t, bis dass entweder Tod oder der Entzug der Fahrerlaubnis Fahrer und Auto trennte. Früher war auch das Umsatzsteuergesetz das einfachste Gesetz. So etwas wie Richterrecht (man denke an die Betriebsaufspaltung bei der Ertragsbesteuerung) gab es im Umsatzrecht grundsätzlich nicht. Die Lösung des Falls ergab sich grundsätzlich ausschließlich aus dem Gesetz. Die Umsatzsteuerrichtlinien passten auf ein paar Seiten.
Heute ist alles anders: grundsätzlich erleichtert der Blick in das deutsche Umsatzsteuergesetz die Rechtsfindung, der nächste Blick gilt aber schon dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Regelt das Europäische Recht etwas anderes, kann sich der deutsche Steuerpflichtige auch auf eine ggfs. günstigere europäische Regelung berufen.
So war es bei den Glückspielautomatenaufstellern, so ist es jetzt bei den Fahrschulen. Der BFH zweifelt an der Umsatzsteuerpflicht für den Fahrunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1, den älteren Autofahrern noch als "Klasse 3" bekannt.
In seinem Beschluss v. 16. März 2017 - V R 38/16 (Az. EuGH: C 449/17) fragt das höchste deutsche Finanzgericht, ob der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL den Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1 umfasst?
Falls der EuGH diese Frage bejaht, soll er erklären, ob die nationalen (gesetzlichen) Regelungen, hier: Gesetz über das Fahrlehrerwesen vom 25. August 1969 (BGBl I 1969, 1336), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 28. November 2016 (BGBl I 2016, 2722, FahrlG), und das Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung von Fahrschülern zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern eine Fahrschule zu einer Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL machen? Falls diese beiden Fragen bejaht werden (Unterricht und vergleichbare Einrichtung), wäre der Fahrschulunterricht für Führerscheine B und C1 grundsätzlich umsatzsteuerfrei.
Falls der EuGH die zweite Frage verneint (Fahrschule keine vergleichbare Einrichtung), fragt der BFH nach den Voraussetzungen eines "Privatlehrers" i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Bst. j MwStSystRL? Muss es sich dabei immer um einen Einzelunternehmer handeln, oder reicht es aus, dass der Unterrichtende für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt?
Die Zweifel kamen dem BFH beim Vergleich der europäischen Regelung mit dem deutschen § 4 Nr. 21 Bst. a) DBst bb) UStG. Denn Fahrschulen seien keine allgemein- oder berufsbildenden Einrichtungen, deren Leistungen der deutsche Gesetzgeber grundsätzlich umsatzsteuerfrei gestellt hat. Der Vorlagefall betrifft einen Fahrschullehrer aus Niedersachen (Vorinstanz: NdsFG, Urteil v. 26.05.2016 - 11 K 10284/15, EFG 2016, 1481), der keine Umsatzsteuer ausgewiesen hatte.
Für Fahrlehrer, Fahrschulen und deren Berater heißt es jetzt rechnen: ist der Vorsteuerabzug höher als die abzuführende Umsatzsteuer, dann versuchen, die Bescheide bestandskräftig zu bekommen. Wenn die abzuführende Umsatzsteuer höher ist als die Vorsteuer, dann auf die MwStSystRL berufen und auf Umsatzsteuerfreiheit plädieren. Denn die Umsatzsteuerfreiheit der Leistung schließt den (anteiligen) Vorsteuerabzug aus.
Eine interessante (zivilrechtliche) Frage wirft die Pressemitteilung des BFH v. 26.07.2017, Nr. 49/2017, auf: angenommen, der EuGH und in dessen Folge der BFH bejaht die Umsatzsteuerfreiheit der Fahrschulumsätze, hat der (ehemalige) Fahrschüler dann einen Anspruch auf nachträgliche Erstattung der somit zu viel gezahlten Umsatzsteuer?
Nach hier vertretener Auffassung kommt es auf den Status des Leistungsempfängers an. Handelt es sich um einen Verbraucher, hat dieser immer einen Bruttopreis mit der Fahrschule vereinbart. Also verbleibt die Erstattung der zu viel abgeführten Umsatzsteuer beim Fahrlehrer bzw. der Fahrschule. Die meisten Führerscheinneulinge der Klasse B dürften somit keinen Anspruch auf Erstattung haben. Denn einen Pkw-Führerschein dürften die wenigsten aus unternehmerischen Gründen erwerben - sieht man einmal von Taxifahrern ab. Beim Erwerb der Führerscheinklasse C1 ist ein Erwerb aus unternehmerischen Gründen vorstellbar, z.B. bei Fuhrunternehmen. Hier besteht nach hier vertretener Auffassung ein Erstattungsanspruch der zu viel gezahlten Umsatzsteuer. Zum einen vereinbaren Unternehmer untereinander grundsätzlich Nettopreise (weil zu erwarten ist, dass die Umsatzsteuer als Vorsteuer nur durchlaufender Posten ist), zum anderen muss grundsätzlich der leistende Unternehmer gegenüber anderen Unternehmern die Rechnung berichtigen, damit der Leistungsempfänger ggfs. den Vorsteuerabzug berichtigen kann.