AGG beim Amtsgericht (II)
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Gelegentlich weisen Mietrecht und Arbeitsrecht beachtliche Parallelen auf. Das gibt die Gelegenheit, während des Sommerlochs mal einen Blick nach Hamburg zu werfen. Dort hatte das Amtsgericht Barmbek über den Entschädigungsanspruch einer abgelehnten Mietinteressentin nach § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG (wir sind im allgemeinen Zivilrecht, daher nicht § 15 Abs. 2 AGG) zu befinden:
Die Klägerin hat einen türkisch klingenden Namen. Sie hat sich mehrfach über ein Internetportal für Wohnungen interessiert, die von der beklagten Vermieterin annonciert worden waren, und um einen Besichtigungstermin gebeten. Ihre Bewerbungen sind stets erfolglos geblieben. Daraufhin hat der Zeuge A jeweils am selben Tag weitere Interessenbekundungen für die streitgegenständlichen Wohnungen per E-Mail versandt, wobei er jeweils (erfundene) deutsch und türkisch klingende Namen verwendete. Alle türkisch klingenden Namen erhielten eine Absage, alle deutsch klingenden Namen eine Einladung zur Wohnungsbesichtigung. Die Angaben in den Interessenbekundungen waren identisch (nur: "Besichtigungstermin erwünscht").
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Entschädigung in Höhe von drei Monatsmieten verurteilt. Die Klägerin habe hinreichende Indizien (§ 22 AGG) dargetan, aus denen sich ihre Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft ergebe. Das "testing-Verfahren" des Zeugen A sei zulässig gewesen. Die Benachteiligung der Klägerin liege bereits darin, dass sie nicht zur Wohnungsbesichtigung eingeladen worden und ihr damit die Chance verwehrt worden sei, den Mietvertrag abzuschließen. Darauf, dass die Beklagte nicht nur an deutsche, sondern auch an türkische und pakistanische Mieter vermietet habe, komme es nicht an.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind vor allem zwei Aspekte interessant:
- Das Amtsgericht erkennt (zutreffend) an, dass Indizien für eine Benachteiligung auch durch fiktive Bewerbungen im sog. "testing-Verfahren" gewonnen werden können. Dieses ist freilich bei Bewerbungen um eine offene Stelle schwerer durchzuführen als für Mietinteressenten, da es nur dann zu aussagekräftigen Ergebnissen führt, wenn beide Bewerbungen bis auf das Diskriminierungsmerkmal identisch oder zumindest sehr ähnlich sind. Im Arbeitsleben werden üblicherweise aber schon mit der Bewerbung Lebenslauf und Zeugnisse eingereicht. Deshalb ist ein vergleichbarer Bewerber schwer zu fingieren.
- Das Amtsgericht orientiert sich hinsichtlich der Höhe der Entschädigung an § 15 Abs. 2 AGG und spricht der Klägerin drei Monatsmieten zu.
AG Hamburg-Barmbek, Urt. vom 3.2.2017 - 811b C 273/15, WuM 2017, 393