Body-Cams: Mittlerweile wohl nachgewiesenermaßen effektiv im Einsatz, aber nach wie vor bürgerunfreundlich in ihrer Ausgestaltung
Gespeichert von Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker am
Nachdem in Deutschland die gesetzgeberischen Bestrebungen zur Einführung der Body-Cams bei der Vollzugspolizei nunmehr abgeschlossen sind, stellt sich die Frage, ob sich das neue Einsatzinstrument tatsächlich wie geplant entwickelt und nachweislich zu einer Reduzierung der Zahl von Übergriffen auf Polizeibeamte führt. Ausführliche Studien für den Body-Cam-Einsatz in Deutschland hat es bisher nicht gegeben – lediglich die Frankfurter Pilotstudie aus 2013 für den Problemstadtteil Alt-Sachsenhausen lieferte die wesentliche Begründung für die Effektivität des Einsatzes der Körperkameras. Nachdem die Body-Cams nunmehr jedoch auch nicht nur von staatlichen Einrichtungen, sondern ebenso in zunehmenden Maße von privaten Sicherheitsdiensten eingesetzt werden – siehe jüngst beispielsweise den Fall der Nutzung von Body-Cams am Bremer Hauptbahnhof durch eine private Sicherheitsfirma (https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-privater-wachdi...), aktualisiert sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Körperkameras von Neuem. Wo einerseits der Schutz von Beamtinnen und Beamten des Polizeivollzugsdienstes sowie von Sicherheitskräften sinnvollerweise bezweckt wird, sich andererseits aber regelmäßig auch Vorfälle des Einsatzes übermäßiger physischer Gewalteinwirkung durch ebenjene Personengruppen auf Bürgerinnen und Bürger zu aktualisieren scheinen, sollte den gegenläufigen Interessen mehr denn je angemessen Rechnung getragen werden. Nichtsdestotrotz ist dabei auch die gestiegene Bedrohungslage im öffentlichen Raum zu berücksichtigen.
US-amerikanische Studie mit umfassenden Vergleichsgruppen
Eine aktuelle wissenschaftliche Studie greift das Thema der Effektivität von Body-Cams nunmehr erstmals umfassend auf – hier zwar speziell und zunächst auf den US-amerikanischen Raum bezogen, wo der Einsatzzweck der Kameras vornehmlich auf den Schutz des Bürgers vor gewalttätigen Übergriffen durch die Polizei beschränkt ist, dennoch aber stellt sich die Frage, ob sich die Ausführungen über die Wirksamkeit des Kameraeinsatzes im öffentlichen Raum zumindest in Teilen auch auf die Situation hierzulande übertragen lassen. Erstmals im September 2016 von den Autoren Wesley G. Jennings, Loire A. Fridell, Mathew Lynch, Katelyn K. Jetelina und Jennifer M. Reinke Gonzalez unter dem Titel „Quasi-Experimental Evaluation of the Effects of Police Body-Worn Cameras (BWCs) on Response-to-Resistance in a Large Metropolitan Police Department“ veröffentlicht, verfolgt diese Studie einen neuen Ansatz zur Effektivitätsbeurteilung der Körperkameras. Während man bisher die Effekte des Einsatzes der Body-Cams vornehmlich über zufällig selektierte Gruppen zu ermitteln versucht hat und dabei in einem maßgeblichen Sinne auch die subjektive Beurteilung durch die eingesetzten Sicherheitskräfte maßgeblich zur Bewertung der Gesamtsituation beitrug, werden in der US-amerikanischen Studie umfassende Vergleichsgruppen mit dem Ziel einer höheren Objektivität zur Ergebnisermittlung eingesetzt. Zudem wird – ausgerichtet auf den Einsatzzweck der US-Body-Cams, Polizeigewalt zu vermeiden – der Begriff der Gewaltanwendung klar definiert. Demnach fallen hierunter das physische Festhalten, Tritte, Schläge sowie körperliche Verteidigungsmaßnahmen, aber auch der Einsatz von nicht tödlichen und tödlichen Waffen. Verglichen wurde die Anzahl der Gewaltanwendungen zweier jeweils 60 Polizisten umfassender Vergleichsgruppen des Tampa Polizeidepartments in Florida für zwölf Monate vor und zwölf Monate während des Einsatzes der Body-Cams. Die beiden Gruppen wurden durch verschiedene statistische Methoden so ausgewählt, dass keine wesentlichen systematischen Unterschiede zwischen diesen bestanden, beispielsweise im Hinblick auf Alters-, Ethnien- und Geschlechterverteilung sowie auf die Berufserfahrung, um eine bessere statistische Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
Studie liefert ähnliche Ergebnisse wie bisher im Hinblick auf die Effektivität der Body-Cams
Auch in dieser Studie befanden die Polizisten den Einsatz der Body-Cams nach einer Eingewöhnungsphase für generell positiv – wie bisher in Deutschland auch. Insbesondere angemerkt wurde, dass sich die Körperkameras in denjenigen Situationen als besonders nützlich erwiesen hätten, in denen es ansonsten keinerlei andere Beweise gegeben hätte; sie trügen mithin zu einer genaueren und korrekten Beschreibung der Abläufe von Polizeieinsätzen und Konflikten bei. Festgestellt wird in der Studie von Jennings et al. ebenso, dass die Wahrscheinlichkeit der Gewaltanwendung durch Polizisten in Einsätzen ohne Body-Cam fast doppelt so hoch wie in den Fällen mit einer solchen gewesen ist. So wurde etwa beobachtet, dass bei den Polizisten aus der Vergleichsgruppe mit der Body-Cam in den zwölf Monaten vor der Einführung der Körperkamera im Schnitt 3,72 Fälle von Gewaltanwendungen im Einsatz vorlagen, wohingegen diese Zahl in den zwölf Monaten nach Einsatzbeginn der Body-Cams auf 3,41 Fälle zurückging. Für die Vergleichsgruppe, die die Einsätze weiterhin ohne die Unterstützung der Body-Cam durchführte, war demgegenüber ein Anstieg von durchschnittlich 4,31 auf 4,46 Fälle mit Gewaltanwendung im Einsatz zu verzeichnen. Diese zunächst nur gering erscheinenden zahlenmäßigen Unterschiede in absoluten Zahlen werden bei einer prozentualen Betrachtung, die die Studie ebenso durchführt, deutlicher: Für den Fall der Body-Cam-Einsatzgruppe hat sich im Ergebnis gezeigt, dass die Gewaltanwendung um 8,4% gesunken ist. Im Vergleich dazu haben sich die Fälle von Gewaltanwendung im Polizeieinsatz in der Gruppe von Beamten, die nicht auf Body-Cams Rückgriff genommen hat, gar um 3,4% erhöht. Würde man die prozentuale Änderung in der Body-Cam-Gruppe hypothetisch auf alle Polizisten Tampas beziehen und hochskalieren, so hätte dies eine Senkung der Gewaltanwendungsfälle um insgesamt 8,4% pro Jahr zur Folge; dies entspräche einer absoluten Fallzahl von in etwa 250 Fällen.
Können die Studienergebnisse tatsächlich ohne Weiteres übernommen werden?
Die Studie von Jennings et al. kommt mithin zu einem positiven Ergebnis, was den Einsatz der Körperkameras im öffentlichen Verkehrsraum anbelangt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich die Studie nur auf den US-amerikanischen, großstädtischen Raum bezieht und folglich keine unmittelbaren Aussagen auf den Erfolg von Body-Cam-Einsätzen mit anderen Gegebenheiten zulässt. Zudem erhielten die Wissenschaftler der Studie keine Daten zum Verhalten, zur ethnischen Zugehörigkeit oder auch zum Geschlecht der Verdächtigen in den Polizeifällen, wobei nicht auszuschließen ist, dass derlei persönliche Attribute durchaus geeignet sind, das Verhalten der Polizisten zu beeinflussen und insoweit die Ergebnisse der Studie zu verfälschen. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die Aussagekraft der Studie, bezogen auf den Einsatz der Body-Cams in Deutschland, durchaus darunter leiden kann, dass sich die demografischen Strukturen hierzulande in einem nicht unerheblichen Maße von den Bevölkerungsstrukturen in den USA unterscheiden dürften.
Effektivität des Einsatzes von Body-Cams kann wohl als erwiesen erachtet werden
All dieser Einschränkungen zum Trotz bestätigt die Studie letztlich ein Ergebnis, das andere, weniger systematisiert durchgeführte Studien aus den Vorjahren ebenso bestätigen können: Insgesamt gesehen hat der Einsatz von Body-Cams im Polizeiwesen eine deeskalierende Wirkung. Ob der Grad dieser Wirkung tatsächlich aber ausreichend ist, um den damit verbundenen Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Bürger zu rechtfertigen, ist eine Frage der Interessenabwägung. Sicherlich aber wird man im Rahmen dieses Ausgleichs von gegenläufigen Interessen der Body-Cam nicht völlig ihren Geltungszweck absprechen können – dies selbst unter den Gesichtspunkten des Datenschutzes. Fraglich ist jedoch, ob es sich allein hierbei wirklich um ein ausschließlich negativ zu wertendes Ergebnis handelt. Der archimedische Punkt ist an dieser Stelle die Tatsache, dass ebenjene „Beweisaufnahmen“ technisch auch geeignet sind, den Bürger zu schützen. Für die Fälle rechtswidriger Polizeigewalt in den USA hat die zuvor besprochene Studie mehr als deutlich gemacht, dass der Einsatz der Körperkameras eine deeskalierende Wirkung haben kann. Wenn dieser Einsatzzweck auch hierzulande überall gesetzlich festgeschrieben würde, könnte dieses Ergebnis ebenso in Deutschland fruchtbar gemacht werden – mit der Folge, dass nicht nur die Rechtfertigung der Body-Cam-Nutzung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten erleichtert würde, sondern zugleich auch der Bürger unmittelbarer Profiteur dieses Ermittlungsinstruments wäre – und nicht nur die Sicherheitsbehörden und -dienste. So, wie sich die Situation jedoch zurzeit darstellt, ist von einer solch positiven, weil bürgerfreundlichen Gestaltung des Body-Cam-Einsatzes nur wenig zu verspüren, was mehr als bedauerlich ist.
Gleichwohl Änderungen in den Polizeigesetzen notwendig
Gleichwohl ist nicht jede Hoffnung verloren: Da die Organisation der Polizei und damit auch der Body-Cams grundsätzlich Ländersache ist, werden Unterschiede in den entsprechenden Gesetzen, die einen Einsatz von Körperkameras ermöglichen, schnell deutlich: In Hamburg heißt es zum Beispiel, dass die Nutzung der Body-Cams dann erfolgen darf, wenn dies nach den Umständen zum Schutz von Polizeivollzugsbediensteten oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. In der bremischen Ermächtigung ist die entsprechende Vorschrift demgegenüber weiter gefasst: So ist der Body-Cam-Einsatz möglich, soweit dies nach den Umständen zum Schutz der Polizeivollzugsbeamten, von Betroffenen oder von Dritten erforderlich ist. Aufzeichnungen können ferner auf Verlangen eines Betroffenen angefertigt werden, soweit hierfür in der konkreten Situation die technischen Mittel zur Verfügung stehen. Indem das Land Bremen in seiner Ermächtigungsgrundlage explizit auch den Betroffenenschutz mit einbezieht, wird nicht nur der informationellen Selbstbestimmung und damit der „informationellen Waffengleichheit“ zwischen Polizei und Bürger besser Rechnung getragen, sondern gleichzeitig auch der mittlerweile gewissermaßen nachgewiesene volle Schutzzweck der Body-Cams juristisch ausgeschöpft und ihre Nutzung auf diese Weise verfassungsrechtlich erleichtert. Hierdurch profitiert dann auch der Bürger vom Einsatz der Körperkameras, soweit denn schon seine informationelle Freiheit durch die technologische Entwicklung in einem immer weitergehenden Maße belastet wird. Auch wenn sich viele Bundesländer gegenüber einer derartigen rechtspolitischen Entwicklung zurzeit noch sperren, ist zu hoffen, dass in nicht allzu ferner Zukunft auch diese die Werthaltigkeit einer solchen Entscheidung erkennen und ihre Ermächtigungsgrundlagen für die Nutzung der Body-Cams in diesem Sinne bürgerfreundlich anpassen.