"Justiz erlaubt Verkauf von Merkel-Galgen, weil Galgen Kunst seien" - Wirklich?
Gespeichert von Prof. Dr. Marc Liesching am
1. Journalistische Berichterstattung
Das Nachrichten-Portal "Sueddeutsche.de" hat gestern getitelt: "Sächsische Justiz erlaubt den Verkauf von Galgen für Merkel und Gabriel". U.a. Tagesspiegel, Deutschlandfunk, Hannoversche Allgemeine und Nachrichtenportale schrieben ab. Aufgebacken wird das luftige Empörungs-Soufflé durch Variantionen der Diktion, wonach etwa die "Justiz" den Verkauf der "Merkel-Galgen" "gebilligt" habe oder die Staatsanwaltschaft "kein Problem" darin sehe, dass ein Pegida-Anhänger in Sachsen "Mini-Galgen für die Kanzlerin" "herstellt".
In dem Artikel von Sueddeutsche.de wird weiter behauptet, dass "zentrales Argument" der Staatsanwaltschaft für die Verfahrenseinstellung gewesen sei, dass die Minatur-Galgen "Kunst" seien. Auch dies wurde ungeprüft in abgeschriebenen Folgemeldungen anderer Portale übernommen.
2. Zugrunde liegender Sachverhalt
Hintergrund der Meldung ist Folgendes: Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hatte zu prüfen, ob der in Vereinsräumlichkeiten erfolgte Verkauf von Miniaturgalgen mit zwei daran befestigten Zetteln , auf welchen „Reserviert für Angela „Mutti“ Merkel“ und „Reserviert für Sigmar „das Pack“ Gabriel“ zu lesen ist, einen Straftatbestand erfüllt.
Selbstverständlich kam die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung zu dem strafrechtlich evidenten Ergebnis, dass § 111 StGB schon mangels erforderlicher Öffentlichkeit und auch wegen Fehlens des nach der Rechtsprechung des BGH notwendigen Aufforderungscharakters nicht erfüllt ist. Aus denselben und weiteren Rechtsgründen verneint die Staatsanwaltschaft auch eine Verwirklichung der Tatbestände der §§ 106, 126, 130, 140, 241 StGB. Das Wort "Kunst" ist in der gesamten Einstellungsverfügung nicht zu finden. Geschweige denn vertritt die Staatsanwaltschaft Chemnitz - wie von Sueddeutsche.de und anderen behauptet - als "zentrales Argument", dass die hergestellten Miniatur-Galgen "Kunst" seien. Es handelt sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung, welche dem Grunde nach einen Anspruch auf Gegendarstellung gemäß § 56 RStV zur Folge hat.
3. Bewertung
Es ist nicht zu beanstanden und auch notwendig, dass die freie Presse sich mit Geschmacklosigkeiten und Verrohungen wie der Veräußerung von Miniatur-Galgen unter namentlicher Nennung von Politiker(inne)n kritisch auseinandersetzt. Die Grenze legitimer und rechtlich zulässiger journalistischer Kommunikation wird aber überschritten, wenn auf der Grundlage unwahrer Tatsachenbehauptungen die "Justiz" bzw. die Staatsanwaltschaft unter Vorgabe vermeintlich abwegiger Entscheidungsgründe in das Fluidum parteiischer Opportunität oder gar einer politischen Entscheidung "pro Merkel-Galgen" gerückt wird.
Gerade hierauf zielt indes auch die journalistische Umdeutung, die "sächsische Justiz" habe die Miniatur-Galgen "erlaubt". Die Verkehrung der sachlichen Prüfung der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens in einen behördlichen, positiven Erlaubnis- oder Billigungsakt ist kein zulässiger Umkehrschluss. Er verbietet sich bei Zugrundelegung der Mindeststandards journalistischer Sorgfalt.
Im Gegensatz zur Presse ist es nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, bestimmte - auch verabscheuungswürdige - Verhaltensweisen gut oder schlecht zu finden bzw. zu "billigen" oder zu "erlauben". Die Deutungshoheit der Staatsanwaltschaft beschränkt sich auf die rechtliche Prüfung von Sachverhalten hinsichtlich des Vorliegens eines Anfangsverdachts für Straftaten. Journalist(inne)n dürfen hingegen weitgehend schreiben und deuten, wie sie wollen - solange sie bei der Wahrheit bleiben. So ist das in einem Rechtsstaat mit freiheitlich demokratischer Grundordnung. Die Aufgaben von Presse einerseits und "Justiz" andererseits zu differenzieren, ist journalistische Sorgfaltspflicht und im Übrigen auch intellekuell den Journalistinnen und Journalisten ohne Weiteres zumutbar.