Strafrechtsreform der GroKo auf Abwegen: "Stalleinbruch" als Sondertatbestand?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Noch ist nicht klar, wer in der künftigen Regierung der Großen Koalition das Amt des Ministers für Justiz und für Verbraucherschutz übernehmen wird, aber eine bestimmte Strafrechtsreform ist ihm oder ihr schon durch den Koalitionsvertrag aufgegeben. Dort heißt es in Zeile 4028 auf Seite 87:
„Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.“
Während andere Pläne und Absichten im Koalitionsvertrag eher generell und global formuliert werden oder Anliegen größerer Bevölkerungsschichten betreffen, wird es an dieser Stelle konkret und kleinteilig. Aus der Abschnittsüberschrift ergibt sich, dass hier nicht die Strafjuristen oder Kriminalpolitiker, sondern die Agrarpolitiker tätig wurden.
Nachdem im letzten Jahr die Polizeigewerkschaften eine Strafrechtsverschärfung bei §§ 113, 114 StGB erfolgreich durchgesetzt haben, sind nun die Landwirte an der Reihe? Ich habe damals vorhergesagt, dass, wenn die Rechtspolitik beginnen sollte, jede Einzellobby mit strafrechtlichen Zückerchen zu befrieden, dass man dann schnell auf eine „schiefe Ebene“ gerät. An deren Ende stünde kein rationales, nach Strafrechtsgütern geordnetes und in der ganzen Welt für seine Abstraktionsstärke und Systematik gerühmtes deutsches Strafrecht mehr, sondern ein StGB, das aus vielen Einzelnormen zusammengestückelt ist, um Einzelinteressen zu befrieden.
Hintergrund ist der Protest radikaler Tierschützer gegen die Bedingungen der Massentierhaltung in Deutschland. Ihrer Ansicht nach werden in den Stallungen, in denen die Tiere produziert und gehalten werden, systematisch nicht nur ethische, sondern auch gesetzliche Normen des Tierschutzes verletzt. Um ihrer Position Öffentlichkeitswirksamkeit zu verleihen, dringen seit einigen Jahren Aktivisten mit Kameras in Ställe ein, filmen die dortigen Zustände und spielen die Filme der Presse und auch öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern sowie Polizei und Staatsanwaltschaft zu.
Erst nach der Koalitionsvereinbarung ergangen, aber in landwirtschaftlichen Fachzeitschriften durchaus in diesem Zusammenhang gebracht (agraronline), wird die Entscheidung des OLG Naumburg genannt – an anderer Stelle hier im Beck-Blog besprochen – mit der ein Freispruch von Tierschutzaktivisten, die eben eine solche Tat begangen hatten, bestätigt wurde: Der Hausfriedensbruch sei aus § 34 StGB gerechtfertigt, das Interesse, die Tiere zu schützen, rechtfertige in diesem Fall den Hausfriedensbruch.
Normgenetisch betrachtet wäre die im Koalitionsvertrag vereinbarte Regelung ein Musterbeispiel für eine Strafrechtskodifikation, die an den Interessen der Gesamtbevölkerung vorbei geht. Es geht hier nicht darum, ein Verhalten zu kriminalisieren, das in der Gesellschaft allgemein verpönt ist, die Ordnung und Sicherheit übermäßig gefährdet oder auf moralisch-ethische schwere Bedenken der Mehrheit stößt und deshalb die Ultima-Ratio-Wirkung des Strafrechts auslösen soll. Es geht auch nicht darum, dass nach einer intensiven öffentlichen Diskussion und transparenten Beratung im Bundestag ein umstrittener Bereich mit der Bundestagsmehrheit strafrechtlich geregelt wird (wie etwa beim Schwangerschaftsabbruch, bei der Sterbehilfe oder beim Sexualstrafrecht). Hier geht es darum, dass eine Gruppe von Interessenten die Verabredung eines Sonderstrafrechts für die von ihr vertretenen Landwirte bereits außerhalb und vor Beginn der normalen Parlaments- und Regierungsarbeit durchgesetzt hat. Das ist geradezu ein Triumph dieser Lobby, der auf „normalem“ Weg kaum erreicht werden konnte.
Dass es diese Norm tatsächlich einmal geben wird, erscheint mir aber noch nicht ausgemacht. Folgende Einwände können formuliert werden und ich hoffe darauf, dass genügend vernünftige Abgeordnete der Koalitionsfraktionen diese Einwände auch erkennen mögen.
1. Den Haupteinwand habe ich oben bereits formuliert: Eine solche Strafrechtsnorm widerspräche dem Interesse der Wählermehrheit und auch der Verbraucher. Einerseits mehr Tierschutz zu versprechen, andererseits aber strafrechtlich eine Sondernorm gegen diejenigen zu schaffen, die Tierschutzverstöße öffentlich machen wollen – das passt nicht zusammen.
2. Bislang stellt es einen Hausfriedensbruch dar, wenn Personen ohne Diebstahlsvorsatz in fremde Ställe eindringen. Müssen sie dazu etwa eine Scheibe oder ein Schloss beschädigen („Einbruch“), ist zusätzlich eine Sachbeschädigung verwirklicht. Dies ist übrigens auch bei einer Wohnung nicht anders. Steht die Tür offen, ist es „nur“ Hausfriedensbruch, muss sie erst aufgebrochen werden, ist zusätzlich eine Sachbeschädigung verwirklicht. Nach den Äußerungen der Befürworter einer solchen Norm soll es aber gar nicht primär um „Einbruch“ gehen, sondern auch um Fälle des gewaltlosen Eindringens, denn betriebsbedingt seien Stallungen nicht immer verschlossen zu halten.
3. Würde man den „Stalleinbruch“ nun gesondert oder besonders hart bestrafen, wären die Ställe der Tierhalter besser geschützt als die Wohnungen der Normalbürger. Wer etwa in eine fremde Wohnung eindringt, macht sich ebenfalls nur wegen Hausfriedensbruch strafbar. Für den Wohnungseinbruch gilt eine besondere Bestrafung erst, wenn ein Diebstahlsvorsatz besteht. Mit welchem Rechtsgut will man aber begründen, dass die Ställe, in denen Tiere gehalten werden, strafrechtlich besser geschützt werden sollen als die Wohnungen der Bürger?
4. (gestrichen wg. Redundanz)
5. Auch mit einem neuen Tatbestand wird man einen Freispruch wie in Naumburg aber nicht verhindern können, denn der rechtfertigende Notstand wird als allgemeine Vorschrift auch hier gelten.
6. Am meisten besorgt mich der zu befürchtende Akzeptanzverlust des Strafrechts, sollten künftig regelmäßig auf intransparentem Lobbyisten-Weg Partikularinteressen in strafrechtliche Form gegossen werden.