Unzulässiges Kopftuchverbot für Drogeriemarkt-Angestellte
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Das islamische Kopftuch hat bereits die höchstens Instanzen beschäftigt (BAG, BVerfG, EuGH). Ob sich daraus praxistaugliche Vorgaben ergeben, konnte jüngst das LAG Nürnberg (Urteil vom 27.3.2018 - 7 Sa 304/17) überprüfen. Der Sachverhalt stellt sich wie folgt dar: Die Klägerin, eine türkischstämmige Frau, arbeitet seit mehreren Jahren als Verkaufsberaterin und Kassiererin in einer Parfümerie-Abteilung der Drogeriemarktkette Müller im Raum Nürnberg, damals noch ohne Kopftuch. Dann heiratete sie und bekam zwei Kinder. Als sie im Oktober 2014 nach der Elternzeit an ihren Arbeitsplatz zurückkam, trug die gläubige Muslima nunmehr ein Kopftuch. Die Filialleiterin wies die Klägerin darauf hin, dass man sie nicht beschäftigten werde, wenn sie ein Kopftuch trage. Dabei stütze sie sich auf eine betriebliche Vorgabe, derzufolge das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verboten ist. Gegen diese Weisung wandte sich die Angestellte vor dem ArbG Nürnberg. Dieses gab ihr recht und verurteilte Müller zur Nachzahlung nicht gezahlter Vergütung. Zwischenzeitlich waren allerdings die Kopftuch-Entscheidungen des EuGH (EuGH Urt. v. 14.3.2017 – C-157/15, NZA 2017, 373 – Achbita und EuGH Urt. v. 14.3.2017 – C-188/15, NZA 2017, 375 – Bougnaoui) ergangen. Die Leitsätze des hier interessierenden Urteils des EuGH (Urt. v. 14.3.2017 – C-157/15, NZA 2017, 373 – Achbita) lauten:
„1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.
2. Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.“
Wer nun erwartet hätte, dass das LAG Nürnberg die Entscheidung der Vorinstanz aufheben würde, sieht sich getäuscht. Das LAG arbeitet mit hohem Begründungsaufwand filigrane Unterschiede zu den vom EuGH entschiedenen Fallgestaltungen heraus. Vor allem habe es sich bei den EuGH-Fällen um Dienstleistungsunternehmen gehandelt, denen ein wirtschaftlicher Nachteil gedroht habe. Bei Müller handele es sich hingegen um ein Einzelhandelsunternehmen, in dem Kunden unterschiedlicher Herkunft einkauften, auch solche mit Kopftuch. Das LAG sichert das Ergebnis dann durch eine verfassungsrechtliche Hilfserwägung ab: „Selbst wenn die Weisung der Beklagten nicht eine Diskriminierung im Sinne der §§ 3 Absatz 2, 1 AGG darstellen würde, wäre sie unwirksam. Die Weisung der Beklagten ist nicht von dem Ermessen gedeckt, das der Arbeitgeber im Rahmen des § 106 GewO auszuüben hat. Vielmehr verletzt sie die Klägerin in ihrem Grundrecht nach Art. 4 Absatz 1 und 2 GG.“ Der Leitsatz des LAG Nürnberg liest sich dann im Ergebnis als deutliche Abgrenzung gegenüber der EuGH-Rechtsprechung:
„Das Verbot, während der Arbeitszeit aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen, stellt eine mittelbare Diskriminierung im Sinne des § 3 Absatz 2 AGG dar. Darüber hinaus beeinträchtigt das Kopftuchverbot die Religionsfreiheit im Sinne des Art. 4 GG. Insofern hat eine Abwägung mit den sich aus Art. 12 und 2 GG ergebenden Grundrechten des Arbeitgebers zu erfolgen. Bei der Auslegung des § 106 GewO steht Gemeinschaftsrecht der Anwendung der Grundrechte nach dem Grundgesetz nicht entgegen.“
Man darf gespannt sein, wie das BAG auf die zugelassene Revision hin den Rechtsstreit entscheidet.