Zweifel an Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen
Gespeichert von Prof. Dr. Claus Koss am
Gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 233a AO sind Steuernachforderungen mit einem halben Prozent pro Monat zu verzinsen. Das macht 6,0% p.a. Zum Vergleich: der Referenzzinssatz EURIBOR beträgt seit 11. Mai 2018 - 0,837%.
Im Rahmen der Aussetzung der Vollziehung bejahte der IX. Senat des BFH schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich der Höhe der Zinsen seit dem Jahr 2015. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe.
Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe bestehe bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht. Auf Grund der auf moderner Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i. S. des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr entgegenstehen. Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.
Als entscheidungserheblich sah der Bundesfinanzhof, dass dem Gesetzgeber das niedrige Zinsniveau bewusst sei. In anderen Rechtsbereichen, beispielsweise im Handelsgesetzbuch habe er ja auch geändert.
Eine Lösung liegt nach auf Auffassung des Verfassers darin, die Verzinsung von Steuernachforderungen an einen Referenzzinssatz plus einen Aufschlag zu koppeln. Im Zivilrecht geht es doch auch (siehe Grafik).