Die Lösung: Bedingten Vorsatz einfach abschaffen?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Als Aufhänger dienen die Raserfälle, die auch hier im Beck-Blog schon ausgiebig diskutiert wurden. Aber es geht um deutlich mehr. Kollegin Hörnle hat in der FAZ (Kolumne Einspruch) vorgeschlagen, die seit jeher problematische Differenzierung zwischen bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) und bewusster Fahrlässigkeit abzuschaffen („Die Dichotomie gehört abgeschafft“) und beide in einer neuen Zwischenkategorie „Leichtfertigkeit“ o.ä. (angelehnt an die „recklessness“ im amerikanischen Strafrecht) zu vereinen.
Für diese Fälle sei eine Strafdrohung unterhalb der bislang für vorsätzliches Verhalten und oberhalb derjenigen für Fahrlässigkeit angemessen. Diese Kategorie verzichtet auf das voluntative Element des Vorsatzes, so dass man nicht auf Spekulation oder den fragwürdigen Nachweis angewiesen sei, was dem Täter kurz vor oder bei der Tat durch den Kopf gegangen sei („wird schon gutgehen“ vs. „na, wenn schon“). Thomas Fischer hat sich auf Spiegel Online deutlich dagegen positioniert. Eine solche neue Kategorie verschiebe das Problem des Nachweises des subjektiven Tatbestands nur an eine andere Stelle des Prüfprogramms und berge in Wahrheit eine versteckte Strafschärfung.
Sicherlich haben beide Ansichten etwas für sich, doch tendiere ich zur Ansicht von Fischer. Zunächst halte ich das Problem nicht für so breit angelegt, wie es zunächst den Anschein hat. Zwar handelt es sich beim Vorsatz um ein Merkmal des Allgemeinen Teils. Das Abgrenzungsproblem existiert aber (fast) nur bezüglich des Tötungsvorsatzes und ist daher eher eine Frage des Besonderen Teils. In anderen praktisch häufigen Fällen (Diebstahl, Körperverletzung) tritt es dagegen nicht auf, da sich der Vorsatz in der Praxis meist aus der Handlung unmittelbar erschließt und nur Fälle des Irrtums für die Abgrenzung relevant sind. Insofern würde die Problematik auch bei einer Revision der Tötungsdelikte zu berücksichtigen sein.
Die problematische Lücke der Strafandrohung zwischen vorsätzlichem Totschlag (oder gar Mord) und fahrlässiger Tötung ist im StGB an einigen Stellen teilweise schon durch entsprechende Gefährdungsdelikte geschlossen worden – und hier scheint mir auch der passendere Ansatz zu liegen: Wer vorsätzlich eine konkret das Leben gefährdende Handlungsweise durchführt, sollte einer höheren Strafdrohung unterliegen, wenn zumindest eine konkrete Lebensgefahr ausgelöst wurde, ohne dass es dabei auf den Vorsatz hinsichtlich eines tödlichen Erfolgs ankäme – strukturell ähnlich ist dies etwa in § 315c Abs.3 Nr.1 StGB geregelt.
Als Gefährdungsdelikt (allerdings als abstraktes) ist ja jetzt auch die Beteiligung an einem Autorennen geregelt.
Ich bin aber gespannt auf Ihre Diskussionsbeiträge.