BSG: „Geistheiler“ gehören zum Gesundheitswesen
Gespeichert von Dr. Michaela Hermes, LL.M. am
Auch eine „Geistheilerin“ muss Beiträge in die gesetzliche Unfallversicherung zahlen, entschied das Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.06.2018 - B 2 U 9/17 R. Es komme nicht darauf an, ob die Methode anerkannt sei. Ausschließlich das Ziel der Tätigkeit sei für die Beitragspflicht in der Gesundheits-Berufsgenossenschaft maßgebend, sagten die höchsten Sozialrichter. Das Ziel der von der Klägerin angewendeten alternativen Behandlungsmethoden sei die Heilung und Besserung von Krankheiten, so das BSG.
Der Fall
Die Klägerin betreibt selbständig eine Praxis für „energetische Körperarbeit“. Sie ist keine Heilpraktikerin. Ihre Klienten behandelt sie mit verschiedenen Heilweisen: So u. a. mit der „Reconnective Therapy“ in der eine Rückverbindung mit dem Energiekörper hergestellt und dadurch Traumata aufgelöst werden sollen. Das „Total Touch Pulsing“, wende sie mit 80 Griffen und Positionen der Hände an. Sie beabsichtige durch „Wiegen und Schaukeln“ den Körper an seinen Embryonalzustand zu erinnern, um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Durch „Fernsitzungen bzw. Geistheilung“ sollten ebenfalls die Selbstheilungskräfte der Betroffenen mobilisiert werden.
Die Heilerin wehrte sich gegen die Beitragsbescheide der gesetzlichen Unfallversicherung (Beklagte). Sie argumentierte, ihre Methoden seien wissenschaftlich nicht belegt. Sie bräuchte keine Erlaubnis als Heilpraktikerin. Wenn sie schon keinen Heilberuf im Gesundheitssystem ausübe, wolle sie auch nicht in die Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege einzahlen.
Die Klage wurde in beiden Vorinstanzen abgewiesen, zuletzt Landessozialgericht (LSG) München, Urteil v. 30.11.2016 – L 2 U 106/14. Auch vor dem BSG hatte ihre Klage keinen Erfolg.
Das BSG entschied:
Die Praxis der Klägerin für „energetische Körperarbeit“ sei dem Gesundheitswesen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII zuzuordnen. Nach eigenen Angaben wolle die Klägerin Krankheiten heilen oder lindern. Dies sei, nach Auffassung der Bundessozialrichter, das entscheidende Kriterium für die Bestimmung der Zugehörigkeit zum Gesundheitswesen. Einer inhaltlichen Bewertung der Behandlungsmethoden bedürfe es nicht. Es komme nicht darauf an, ob die Behandlungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten ausreichend und zweckmäßig seien (vgl. § 28 SGB V), entschieden die Richter. Diese Beschränkung gelte nur für die gesetzliche Krankenversicherung, nicht für die gesetzliche Unfallversicherung.
Hinweise für die Praxis
Ein Unterliegen mit positiver Wirkung. Unterstützt wurde die Klage vom „Dachverband geistiges Heilen“. Etwa 10.000 Heiler sind nach Schätzungen des Dachverbandes bundesweit tätig. Immer wieder kämpfen die Vertreter der alternativen Heilmethoden gegen das Image der Scharlatanerie. Das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit mit Beschluss vom 02.03.2004 – 1 BvR 784/03 die spirituelle Wirkkraft der Geistheiler betont und die Behandlungsmethoden als den religiösen Riten näher stehend bezeichnet. Jetzt ist es in letzter Instanz amtlich: Die Praxis der "Geistheilerin" gehört zum Gesundheitswesen. Ein weiterer Schritt in die Anerkennung dieser Heilweisen?