Final: 60.000 Euro Schmerzensgeld für aussagepsychologisches Gutachten
Gespeichert von Dr. Michaela Hermes, LL.M. am
Der Streit um Schmerzensgeld für ein mit gravierenden Fehlern erstelltes Gutachten der Psychologin Frau Dr. R.-J. vom 21.8.2003 ist abgeschlossen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 23.11.2017 – 4 U 26/15 hatte die psychologische Gutachterin (Beklagte) zu den Schmerzensgeldzahlungen verurteilt und eine Revision nicht zugelassen. Dagegen hatte sich die Psychologin mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den Bundesgerichtshof (BGH) gewandt. Dazu „Beck aktuell“.
Die Beschwerde der Psychologin wurde nun zurückgewiesen. Schon die Berufung hat sich für die Beklagte nicht ausgezahlt. Wegen eines grob fahrlässig erstellten Glaubwürdigkeitsgutachtens hatte die Vorinstanz, das LG Saarbrücken, Urteil vom 29.01.2015 – 3 O 295/13 die Sachverständige zu 50.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.
Verurteilung zu Unrecht
Der Fall ist tragisch. Ein Justizirrtum. Der Kläger, ein damaliger Bundeswehrbeamter, saß zwei Jahre wegen schwerem sexuellem Kindesmissbrauchs unschuldig im Gefängnis (siehe: LG Saarbrücken, Urteil vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03)). Ihm wurde zur Last gelegt, seine damals 10jährige Pflegetochter mehrfach sexuell missbraucht zu haben. Aufgrund der Aussage des Pflegekindes kam es zur Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren. Die Aussage des Mädchens wurde im Strafprozess durch ein aussagepsychologisches Gutachten der beklagten Psychologin überprüft. Solche Glaubwürdigkeitsgutachten werden von den Gerichten in Strafprozessen, vor allem wenn es um Sexualstraftaten geht, eingeholt.
Abgewiesene Schmerzensgeldklage des angeblichen Missbrauchsopfers
683 Tage hatte der Verurteilte bereits abgesessen. Ein Wiederaufnahmeantrag nach dem anderen scheiterte. Erst mit dem dritten Wiederaufnahmeantrag gelang es dem Kläger, seinen Fall vor dem Strafgericht neu zu verhandeln. Vorausgegangen war wiederum ein Zug durch die Instanzen. Diesmal vor den Zivilgerichten. Das damalige vermeintliche Missbrauchsopfer strengte ihrerseits eine Schmerzensgeldklage gegen ihren angeblichen Peiniger an. Die Zivilrichter waren nicht überzeugt. Sie wiesen die Klage ab. Dagegen legte das Mädchen Berufung ein. Das OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - 9, 1 U 32/08 forderte ein neues Glaubwürdigkeitsgutachten an. Es stellte sich heraus, dass das Kind gelogen hatte. Als nicht erlebnisbegründet stufte der von den Zivilrichtern hinzugezogene Sachverständige die Aussage des Mädchens ein. Der Sachverständige wies auf eine Vielzahl methodischer Fehler des aussagepsychologischen Gutachtens der Frau Dr. R.-J. hin.
Der zu Unrecht Verurteilte wurde im November 2013 freigesprochen.
Das fehlerhafte aussagepsychologische Gutachten
Auf 64 Seiten begründete das OLG Saarbrücken warum das schriftliche Gutachten zahlreiche gravierende Fehler aufwies. Diese hätten sich dann im mündlichen, vor dem Strafgericht erstatteten, Gutachten manifestiert. Die Gutachterin hätte Fehler sowohl im Berichtsteil als auch in den Schlussfolgerungen gemacht und dadurch die vom BGH im Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 618/98 aufgestellten Mindestanforderungen nicht eingehalten. Methodische Defizite in Fragetechnik, Einschätzung der früheren Lügen des Kindes, Erklärung der fehlenden Realitätskennzeichen mit der geringen Intelligenz des Mädchens, waren nur einige der ausführlich dargestellten Mängel des Gutachtens. Für den Vorwurf der grob fahrlässigen Falschbegutachtung war schließlich der Umstand ausschlaggebend, dass sie die Grundregeln eines methodisch wissenschaftlichen Vorgehens, hier das Konzept der Nullhypothese (der Sachverständige nimmt zunächst an, die Aussage des Zeugen sei unwahr) nicht beachtet hatte.
Medizinrechtliche Praxis
In der medizinrechtlichen anwaltlichen Tätigkeit bietet das ärztliche Sachverständigengutachten immer wieder Diskussionsstoff. Für die medizinische Expertise ist der Gutachter wichtig. Er beurteilt u.a., ob der Facharztstandard eingehalten wurde, ob die Dokumentation ausreichend war oder ob der Gesundheitsschaden auch bei ordnungsgemäßer Behandlung eingetreten wäre. In der Regel verlässt sich das Gericht auf die medizinischen Ausführungen, ist aber in seiner Beweiswürdigung frei (§ 286 ZPO).