Wahlkampfspenden als Vorteilsannahme? Die Hauptverhandlung gegen den Oberbürgermeister von Regensburg hat begonnen
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der Oberbürgermeister der Stadt Regensburg steht seit Montag vor Gericht. Er muss sich neben drei Mitangeklagten gegen den Vorwurf verteidigen, er habe in größerem Umfang Parteispenden und andere Vorteile des mitangeklagten Unternehmers angenommen, die im Zusammenhang mit Entscheidungen zu dessen Bauvorhaben standen.
Vieles erinnert in der Ausgangsbasis an den Prozess gegen den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, der schließlich freigesprochen wurde. Zweimal hat sich der 3. Senat des BGH mit diesem Fall befasst. Auch damals ging es um Wahlkampfspenden eines Immobilienunternehmers in sechsstelligem (DM-)Umfang, und auch damals ging es darum, ob diese Spenden positive Entscheidungen des OB fördern sollten bzw. gefördert haben.
Neben und unabhängig von den in der Hauptverhandlung noch umstrittenen Tatsachenfragen sowie Fragen des Prozessrechts wird man im Regensburger Fall die zwei Entscheidungen des BGH zum Wuppertaler Fall im Auge behalten müssen.
In Wuppertal bewarb sich der OB um die Wiederwahl. Das heißt, §§ 331, 333 StGB fanden deshalb Anwendung, weil zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Beeinflussung durch Wahlkampfspenden der OB bereits im Amt war. Der BGH machte in seiner ersten Revisionsentscheidung (Kremendahl I) deutlich, ein Amtsträger dürfe bei der Finanzierung seines Wahlkampfs gegenüber einem Nicht-Amtsträger nicht zu stark benachteiligt sein. Da ein Nicht-Amtsträger straffrei mit konkreten Versprechungen für den Fall seiner Wahl Spenden eintreiben dürfe, müsse § 331 StGB beim Amtsträger teleologisch einschränkend ausgelegt werden.
Zitat: BGHSt 49, 275 (lexetius-Link)
„Wäre demgegenüber der sich um die Wiederwahl bewerbende Amtsträger rechtlich völlig davon ausgeschlossen, sich für die Dienstausübung nach der Wahl im Wahlkampf von Dritten finanziell unterstützen zu lassen, würde sein grundrechtlicher Anspruch auf gleiche Wahlchancen in verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise eingeschränkt, da er gegenüber sonstigen Mitbewerbern generell in den Möglichkeiten der Wahlkampffinanzierung und damit in der Effizienz seines Wahlkampfes benachteiligt wäre.
Die Korruptionsdelikte müssen daher für diese Sondersituation in einer Weise ausgelegt werden, die der grundrechtlich garantierten Gleichheit des passiven Wahlrechts gerecht wird.
Dies bedeutet indessen nicht, daß der Amtsträger für die Einwerbung von Wahlkampfmitteln sonstigen Bewerbern uneingeschränkt gleichgestellt werden müßte. Er befindet sich aufgrund seiner Amtsposition in einer besonderen Pflichtenstellung, die eine Differenzierung erlaubt und erfordert. (…) Die tatbestandliche Einschränkung kann damit nur § 331 Abs. 1 StGB betreffen. Sie muß sich daran ausrichten, welche finanziellen Leistungen zur Förderung einzelner Politiker bzw. Parteien der Gesetzgeber in anderen Zusammenhängen als mit demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben für vereinbar, wenn nicht sogar erwünscht erachtet.“
Das Fazit lautete:
„Ein Amtsträger macht sich nicht wegen Vorteilsannahme strafbar, wenn er sich erneut um das von ihm derzeit ausgeübte, aufgrund einer Direktwahl zu erlangende Wahlamt bewirbt und für seinen Wahlkampf die finanzielle oder sonstige Unterstützung eines Dritten für sich und/oder die ihn tragende Partei bzw. Wählervereinigung fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, sofern diese Förderung allein dazu dienen soll bzw. dient, daß er nach erfolgreicher Wahl das wiedererlangte Wahlamt in einer Weise ausübt, die den allgemeinen wirtschaftlichen oder politischen Vorstellungen des Vorteilsgebers entspricht. In diesem Fall ist wegen des vorrangigen Verfassungsprinzips der Chancengleichheit bei der Wahl das erforderliche rechtswidrige Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Vorteil und Dienstausübung, die Unrechtsvereinbarung, zu verneinen.“
Allerdings soll § 331 StGB im Wahlkampf nicht etwa völlig außer Kraft treten:
„Zeigt sich der Amtsträger dagegen bereit, als Gegenleistung für die Wahlkampfförderung im Falle seiner Wahl eine konkrete, den Interessen des Vorteilsgebers förderliche Entscheidung zu dessen Gunsten zu treffen oder zu beeinflussen, macht er sich der Vorteilsannahme schuldig, obwohl wegen der Unsicherheit des Wahlausgangs noch gar nicht feststeht, ob er überhaupt in die Lage versetzt werden wird, im Interesse seines Förderers aktiv zu werden.
Hier überwiegt die Pflichtenbindung des Amtsträgers aus seinem bisherigen Amt sein Interesse, seine Chancengleichheit mit anderen Wahlbewerbern gegebenenfalls auch dadurch herzustellen, daß er seine Wahlkampffinanzierung durch Zusagen einwirbt, die zwar kein pflichtwidriges oder ermessensfehlerhaftes Vorgehen in Aussicht stellen, aber dennoch den Makel der Käuflichkeit amtlicher Entscheidungen tragen und daher unlauter und verwerflich sind.“
Der Freispruch im Wuppertaler Fall (basierend auf der mangelnden Kenntnis des OB über die Projekte des Vorteilsgebers) wurde vom BGH in Kremendahl II akzeptiert. Allerdings hat der Senat zugleich seine restriktive Interpretation des § 331 StGB wieder etwas zurückgenommen:
Zitat BGH NJW 2007, 3446 (lexetius-Link)
„Die im Einzelfall erforderliche Abgrenzung zwischen erlaubter und unerlaubter Einwerbung von Wahlkampfmitteln kann – wie der Senat schon in seinem ersten Revisionsurteil in dieser Sache näher ausgeführt hat (BGHSt 49, 275, 295) – je nach den Umständen schwierig sein. Diese Schwierigkeiten ergeben sich unabhängig von dem rechtlichen Begründungsansatz; eindeutige Ergebnisse kann weder der Ansatz des Senats noch der abweichende von Teilen des Schrifttums bieten.
(…)
Der Anschein der Käuflichkeit amtlicher Entscheidungen, dessen Vermeidung Schutzzweck des § 331 StGB auch mit Blick auf Fälle der vorliegenden Art ist (vgl. BGHSt 49, 275, 294), entsteht auch dann, wenn Spender und Amtsträger davon ausgehen, dass dieser im Laufe der künftigen Amtszeit mit Entscheidungen zu diesem oder jenem Vorhaben des Spenders – sei es schon projektiert oder noch nicht – befasst sein wird und ein unbeteiligter Betrachter den Eindruck gewinnt, dass jener mit der Spende Einfluss auf anfallende Entscheidungen nehmen will. Insbesondere bei Spenden von außergewöhnlicher Höhe wird es regelmäßig nahe liegen, dass der Spender nicht nur – straffrei – die allgemeine Ausrichtung der Politik des Wahlbewerbers unterstützen will, sondern sich – strafbar – dessen Gewogenheit auch im Blick auf eigene konkret geplante oder zu erwartende Vorhaben sichern und seine Individualinteressen fördern will.“
Die überwiegende Meinung im Schrifttum folgt dem BGH in dieser grundsätzlichen Ausrichtung. Jedoch zeigen sich die vom BGH angedeuteten Schwierigkeiten nun auch im Regensburger Fall: Der OB Regensburgs war, anders als der Wuppertaler OB, nicht bereits vor der Wahl in diesem Amt. Er war allerdings bereits dritter Bürgermeister, also Amtsträger. Hier wird das Gericht ggf. entscheiden müssen, inwieweit § 331 für denjenigen Amtsträger eingeschränkt gilt, der sich auf ein anderes Wahlamt bewirbt, wenn die Spende erst die Dienstausübung in dem neuen Amt beeinflussen soll. Eine durchaus beachtliche Meinung zu dieser Konstellation vertreten Beckemper/Stage (NStZ 2008, 35): Eine Wahlkampfspende, die im Hinblick auf die Dienstausübung des erst künftigen Amtes gewährt werde, werde von § 331 StGB gar nicht erfasst. Insofern bestehe auch kein Unterschied zwischen Amtsinhabern und anderen Kandidaten um ein Wahlamt. In Regensburg flossen allerdings auch nach der Wahl des OB Wolbergs noch Spenden wg des außergewöhnlich teuren Wahlkampfes (der insgesamt mehr als 800.000 Euro kostete).
Bejaht man mit der h.M. wie im Wuppertaler Fall die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 331 StGB in Regensburg, stellt sich ebenso wie dort die Frage, ob die Spendentätigkeit und (möglicherweise) andere Vorteilsgewährungen des mitangeklagten Unternehmers überhaupt mit einem Wohlwollen bei der Dienstausübung insbesondere zu künftigen Projekten des Vorteilsgebers verknüpft sein sollten (Unrechtsvereinbarung).
Als Indizien für eine solche Unrechtsvereinbarung werden in der Literatur übereinstimmend genannt (vgl. MüKo-Korte, § 331 Rz. 130; Schönke/Schröder-Heine § 331, Rz. 28, 29c):
- die Anzahl und außergewöhnliche Höhe der Spenden,
- ein geringer zeitlicher Abstand zwischen Zuwendung und Dienstausübung,
- ein hoher Grad der personellen Verflechtung zwischen Geber und Nehmer,
- die Heimlichkeit der Handlung.
Laut Anklage sollen mehrere dieser Indizien im Regensburger Fall vorliegen.
Nicht ausgeschlossen wird die Anwendung des § 331 StGB dadurch, dass die Annahme als Parteispende formal dem Parteiengesetz entspricht. Es soll aber immerhin ein Gegenindiz gegen eine Unrechtsvereinbarung darstellen, wenn das Parteiengesetz hinsichtlich des Transparenzgebots eingehalten wurde. Daran bestehen in Regensburg aber erhebliche Zweifel, denn erst die außergewöhnliche Spendentätigkeit von Mitarbeitern bzw. Angehörigen des mitangeklagten Unternehmers knapp unterhalb der Grenze von 10.000 Euro hat ja überhaupt zum Verdacht geführt.
Lassen sich die äußerlichen, objektiven Voraussetzungen einer Unrechtsvereinbarung in der kommenden Hauptverhandlung belegen, kann aber auch noch die subjektive Komponente fraglich sein: Eindeutige schriftliche Vereinbarungen gibt es ja in den seltensten Fällen, und auch hier wohl nicht. Daher wird man den Vorsatz der Verknüpfung von Vorteil und Dienstausübung nur aus dem Verhalten und der Kenntnis der Beteiligten indirekt schließen können. Es kommt dabei nicht darauf an, ob sich der Vorteilsnehmer subjektiv als käuflich empfindet oder eine Bevorzugung des Vorteilsgebers gerade aufgrund der Vorteilsgewährung beabsichtigt hat. Vielmehr genügt es, dass die Spenden bzw. sonstigen Vorteile in Bezug auf die Dienstausübung (nach der engeren Fassung bei Wahlkampfspenden: in Bezug auf Vorhaben des Spenders) gewährt wurden und dem Amtsträger dies bewusst war.
Wegen der enormen Bedeutung der schwierig zu beweisenden Unrechtsvereinbarung wird auch verständlich, dass der angeklagte Regensburger OB in seiner fünfstündigen Einlassung am zweiten Tag der Hauptverhandlung Wert darauf legte, die Annahme der Spenden einerseits und die Entscheidung zugunsten eines großen Bauprojekts des mitangeklagten Unternehmers als völlig voneinander getrennte Angelegenheiten zu schildern.
In Bezug auf § 332 StGB, der ja trotz der beschränkten Zulassung aus Sicht der Staatsanwaltschaft weiterhin im Raum steht, ist es auch durchaus sinnvoll, die Entscheidung für das Bauprojekt als die im Ergebnis „richtige Entscheidung“ für Regensburg darzustellen. Für die Vorteilsannahme ist dies aber nicht relevant, da auch eine insoweit rechtmäßige Dienstausübung den Vorwurf der Vorteilsannahme nicht beseitigen würde.
Nach meiner Einschätzung werden die angedeuteten „Schwierigkeiten“ mit einiger Wahrscheinlichkeit auch im Regensburger Fall dazu führen, dass das Urteil des LG, egal wie es ausfällt, wiederum den BGH beschäftigen wird.