EuGH: Urlaub verfällt nicht automatisch, weil Arbeitnehmer ihn nicht beantragt hat
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Noch zwei weitere Urteil des EuGH (C-619/16 und C-684/16, PM 165/18), haben erhebliche Konsequenzen für das deutsche Urlaubsrecht (zu den weiteren Urteilen des EuGH zum Urlaubsrecht vom 6.11.2018 siehe den Blog-Beitrag vom 6.11.2018). Wiederum geht es um zwei deutsche Vorlagen, die vom EuGH mit Datum vom 6.11.2018 entschieden worden sind.
Im ersten Fall ging es um einen Rechtsreferendar beim Land Berlin, Herrn Kreuziger. Während der letzten Monate seines juristischen Vorbereitungsdiensts nahm er keinen bezahlten Jahresurlaub. Nach dem Ende des Vorbereitungsdienstes beantragte er eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage. Das Land lehnte den Antrag ab. Herr Kreuziger focht daraufhin die Ablehnung vor den deutschen Verwaltungsgerichten an.
Herr Shimizu war bei der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften beschäftigt. Etwa zwei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses bat die Max-Planck-Gesellschaft Herrn Shimizu, seinen Resturlaub zu nehmen (ohne ihn jedoch zu verpflichten, den Urlaub zu einem von ihr festgelegten Termin zu nehmen). Herr Shimizu nahm nur zwei Urlaubstage und beantragte die Zahlung einer Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage, was die Max-Planck-Gesellschaft ablehnte. Herr Shimizu wandte sich daraufhin an die deutschen Arbeitsgerichte.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland) und das Bundesarbeitsgericht (Deutschland) möchten wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Verlust des nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs und den Verlust der finanziellen Vergütung für diesen Urlaub vorsieht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantragt hat. Sie haben den Gerichtshof daher ersucht, in diesem Kontext das Unionsrecht auszulegen, wonach der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.
Der EuGH hat nun entschieden, dass das Unionsrecht es nicht zulässt, dass ein Arbeitnehmer die ihm gemäß dem Unionsrecht zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub automatisch schon allein deshalb verliert, weil er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses (oder im Bezugszeitraum) keinen Urlaub beantragt hat. Diese Ansprüche könnten nur untergehen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen, was der Arbeitgeber zu beweisen habe. Der Arbeitnehmer sei nämlich als die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses anzusehen. Er könnte daher davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könne, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken könnten. Sei der Arbeitgeber hingegen in der Lage, den ihm insoweit obliegenden Beweis zu erbringen, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, stehe das Unionsrecht dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem entsprechenden Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen. Der Gerichtshof betont, dass die diese Grundsätze unabhängig davon Geltung beanspruchten, ob es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber (wie das Land Berlin) oder einen privaten Arbeitgeber (wie die Max-Planck-Gesellschaft) handele.
Nach all den richtungweisenden Entscheidungen der letzten Jahre wird eine Neuformulierung des § 7 BUrlG durch den Gesetzgeber immer dringlicher. Aus dieser Vorschrift geht die geltende Rechtslage schon lange nicht mehr in der gebotenen Deutlichkeit hervor.
Für Arbeitgeber besteht ebenfalls Handlungsbedarf. Abgesehen davon, dass die Rechtsprechung des EuGH nur für den gesetzlichen Mindesturlaub gilt, also für den tarifvertraglichen und arbeitsvertraglichen Mehrurlaub abweichende Regelungen getroffen werden können, gilt: Arbeitgeber müssen Mitarbeiter rechtzeitig, am besten schon in den Sommermonaten ausdrücklich und in schriftlicher Form darauf hinweisen, dass sie ihren Urlaub in den nächsten Monaten, jedenfalls bis zum 31. Dezember nehmen sollten, andernfalls der Urlaub mit Ablauf des 31. Dezember ersatzlos untergeht und auch nicht mehr abgegolten werden kann.
Für die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung stellt sich die Frage, ob vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils den Arbeitgebern künftig ein größerer Spielraum bei der Festlegung der Lage des Urlaubs zugestanden werden müsste, jedenfalls wenn der Urlaub in den letzten Monaten immer noch nicht beantragt worden ist.