28. August 2009: Schicksalstag eines Proberichters
Gespeichert von Carsten Krumm am
In der Presse und auch der juristischen Öffentlichkeit ist der Fall des Proberichters, der einem Angeklagten eine Zelle gezeigt hatte und ihn auch kurz einmal zur Probe eingesperrt hatte, bereits thematisiert worden. Man hätte nun hoffen können, dass über 9 Jahre nach der Tat endlich einmal ein Schlussstrich gezogen werden kann. Geht aber nicht. Der BGH hat gerade alles nochmals "auf Null" gesetzt. Zum durchaus aus Praktikersicht interessanten Sachverhalt heißt es beim BGH:
Beim Aufruf der Sache am 28. August 2009 erschien der Beschuldigte
zunächst nicht. Nach einer kurzen Wartezeit regte der Sitzungsvertreter der
Staatsanwaltschaft an, den Einspruch gegen den Strafbefehl zu verwerfen.
Damit war der Angeklagte nicht einverstanden. Schließlich erschien der Beschuldigte,
so dass die Hauptverhandlung durchgeführt werden konnte. Der
Staatsanwalt verlas den Strafbefehl. Anschließend stellte der Angeklagte fest,
dass der Beschuldigte rechtzeitig Einspruch eingelegt habe. Dabei wies der
Angeklagte zumindest einmal darauf hin, dass es im Weiteren nur noch um die
Höhe einer Geldstrafe gehe, und gab seine Rechtsauffassung damit zu erkennen,
dass der Einspruch auf das Strafmaß beschränkt sei.Der Angeklagte belehrte den Beschuldigten, dass es ihm freistehe, sich
zu den Vorwürfen zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, woraufhin dieser
Angaben machte und dabei zunächst bei seiner bisherigen Einlassung
blieb, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Daran änderte sich auch nichts, als
der Angeklagte dem Beschuldigten bei seiner intensiven Befragung vorhielt,
dass er im Wiederholungsfalle mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen habe, wobei
er im Gefängnis ein leichtes Opfer für sexuelle Übergriffe durch Mithäftlinge sei.
Auch der Hinweis des Staatsanwalts, ein Geständnis könne sich strafmildernd
auswirken, blieb ohne Wirkung. Der Angeklagte wurde immer ungeduldiger, da
er unbedingt wollte, dass der Beschuldigte die Tat in vollem Umfang einräumte.
Aus seiner Sicht benötigte er das Geständnis, um bei dem Beschuldigten die für
die geplante Weisung erforderliche Therapieeinsicht zu wecken. Der Beschuldigte
schwankte während dieser Befragung zwar, ob er nicht doch – entsprechend
dem tatsächlichen Geschehen – ein vollumfängliches Geständnis ablegen
solle, konnte sich letztlich aber nicht entschließen, weil er befürchtete, in
Zukunft überwacht zu werden, und auch eine Geldstrafe unbedingt von sich
abwenden wollte.
In dieser Verfahrenssituation entschloss sich der Angeklagte, den Druck
auf den Beschuldigten dadurch zu erhöhen, dass er ihn in den Gewahrsam des
Amtsgerichts führen und ihm dort eine Gewahrsamszelle zeigen ließ. Er sprang
deshalb plötzlich mit den Worten auf: „Sie kommen jetzt mit, ich zeige Ihnen
mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“ Der Angeklagte verließ mit dem Beschuldigten
den Sitzungssaal, ohne den anderen Verfahrensbeteiligten mitzuteilen,
was er vorhatte. Während der Beschuldigte im Foyer des Amtsgerichts wartete,
begab sich der Angeklagte zunächst zur Wachtmeisterei und anschließend
– begleitet von einem Wachtmeister – in den Gewahrsamsbereich in den Keller
des Amtsgerichts. Dort forderte er den mittlerweile verängstigten und einge-
schüchterten Beschuldigten auf, eine der drei Zellen zu betreten, was dieser
ohne jeden Widerstand tat, wobei dieser fragte, ob er das WC in der Zelle benutzen
dürfe. Der Angeklagte, der durch dieses Verhalten irritiert war und den
Eindruck hatte, der Beschuldigte nehme die Situation nicht ernst, lehnte dies
ab, weil die Toilette ansonsten wieder gereinigt werden müsse. Er sagte ihm
aber zu, gleich eine normale Toilette im Erdgeschoss benutzen zu können. Vor
diesem Hintergrund entschloss sich der Angeklagte, den Beschuldigten für eine
kurze Zeit in der Gewahrsamszelle einzusperren, um ihn dadurch zusätzlich
unter Druck zu setzen und von ihm sodann ein vollumfängliches Geständnis zu
erlangen. Der Angeklagte fragte ihn deshalb, ob er einmal sehen wolle, wie es
in einer Zelle so sei. Er werde die Tür für ca. eine Minute schließen, aber nicht
verriegeln. Der Beschuldigte könne jederzeit klopfen, wenn er Angst habe und
die Zelle verlassen wolle. Der nunmehr völlig verängstigte Beschuldigte leistete
diesen Anweisungen des Angeklagten Folge und setzte sich auf die in der Zelle
befindliche Bank. Sodann schloss der anwesende Wachtmeister auf Anweisung
des Angeklagten die Zellentür und legte von außen einen Riegel vor. Nach einer
kurzen Zeitspanne, möglicherweise weniger als eine Minute, öffnete der
Wachtmeister die Zellentür auf Anweisung des Angeklagten. Der Beschuldigte
verließ die Zelle und äußerte dabei, man habe in einer solchen Zelle viel Zeit
zum Nachdenken. Der Angeklagte erschien mit dem Beschuldigten, der zuvor
noch eine Toilette im Erdgeschoss aufgesucht hatte, wieder im Sitzungssaal,
wobei die Unterbrechung etwa fünf Minuten gedauert hatte. Dort wurde die
Hauptverhandlung – ohne weitere Erklärung oder Nachfrage der anderen Verfahrensbeteiligten
– fortgesetzt.
Der Beschuldigte bestritt die Tat weiterhin. Daraufhin verlas der Staatsanwalt
auf Bitte des Angeklagten aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen
dessen Einschätzung des Beschuldigten vor. Danach liege bei
diesem ein sexueller Masochismus vor, zudem bestehe der Verdacht auf einen
Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen sowie auf einen
Fetischismus. Insoweit lägen die Voraussetzungen einer erheblich verminderten
Schuldfähigkeit nach § 21 StGB und auch die medizinischen Voraussetzungen
einer Unterbringung nach § 63 StGB vor. Der Angeklagte wollte durch die Verlesung
den Druck auf den Beschuldigten nochmals erhöhen, um endlich das
erstrebte Geständnis zu erreichen. Dass das Gutachten durch Verlesen nicht
prozessordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt werden konnte, war dem
Angeklagten zum damaligen Zeitpunkt nicht bewusst. Auch teilte er dem Beschuldigten
nicht direkt mit, dass er eine Unterbringung gar nicht in Erwägung
zog. Diesem war jedoch durch die vorangegangenen Äußerungen des Angeklagten
klar, dass ihm eine Gefängnisstrafe oder die Unterbringung in einer geschlossenen
Einrichtung nur bei weiteren Straftaten drohen könnten.
Nach Erörterung dieses Gutachtens mit dem Beschuldigten räumte dieser,
auch unter dem Eindruck des Aufenthaltes in der Zelle, den vorsätzlichen
Verstoß gegen § 183 StGB ein und war vor diesem Hintergrund auch bereit,
sich einer ambulanten Therapie zu unterziehen. Die Beweisaufnahme wurde
geschlossen. Der Staatsanwalt beantragte, den Beschuldigten unter Vorbehalt
einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10 € zu verwarnen und ihm eine
Therapieweisung zu erteilen. Abschließend erklärte der Beschuldigte, dass ihn
der Verhandlungstermin sehr mitgenommen habe und er sich umgehend um
eine Therapie kümmern wolle.
Der Angeklagte verkündete dem staatsanwaltschaftlichen Antrag entsprechend
ein Urteil, wobei die Tagessatzhöhe lediglich 7 € betrug. Im Rahmen
des Bewährungsbeschlusses wurde dem Beschuldigten die Weisung erteilt,
sich innerhalb von zwei Monaten nach Rechtskraft des Urteils in eine ambulan-
te Therapie zu begeben. Anschließend belehrte der Angeklagte den Beschuldigten
über die Möglichkeit, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen, und wies
auch auf die Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts hin, wobei ihm bewusst
war, dass eine entsprechende Erklärung des Beschuldigten auch auf dessen
Aufenthalt in der Gewahrsamszelle zurückzuführen wäre. Sowohl der Beschuldigte
wie auch der Staatsanwalt verzichteten noch in der Hauptverhandlung auf
Rechtsmittel. Der Angeklagte fertigte das schriftliche Urteil am 25. September
2009, wobei er in den Urteilsgründen weder den Strafbefehl noch den Einspruch
erwähnte, vielmehr – auf entsprechende allgemeine Empfehlung eines
Kollegen – ein vollumfängliches Strafurteil schrieb.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit
mit Aussageerpressung verurteilt. Dieser habe sich als Richter bei der
Leitung einer Rechtssache zum Nachteil des Beschuldigten einer Beugung des
Rechts schuldig gemacht, indem er diesen unter Verstoß gegen § 136a Abs. 1
Satz 2 StPO in die Gewahrsamszelle einsperren ließ, um hierdurch ein Geständnis,
die Einwilligung in eine ambulante Therapie und einen Rechtsmittelverzicht
zu erzwingen. Dieses Verhalten des Angeklagten erfülle auch den Tatbestand
der Aussageerpressung nach § 343 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB.II.
Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Aussageerpressung begegnet auf der
Grundlage der nunmehr getroffenen, zum Teil gegenüber dem Freispruch abweichenden
Feststellungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken....
BGH, Beschluss vom 15.8.2018 - 2 StR 474/17
Zusammenfassend hat der BGH (in seiner erst heute online gestellten Entscheidung) sowohl bei der Aussageerpressung, als auch bei der Rechtsbeugung Schwierigkeiten...ob sich diese natürlich in einem neuerlichen "Aufguss" beheben lassen, darf man sicher skeptisch sehen.
Die ausführliche Entscheidungsbegründung ist hier nachzulesen!